Steuervorteile für Überstunden – So kämpft die Regierung gegen Personalmangel

Veröffentlicht: 19.07.2024
imgAktualisierung: 19.07.2024
Geschrieben von: Hanna Behn
Lesezeit: ca. 5 Min.
19.07.2024
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Frau sitzt am Laptop und reibt sich die Augen
choreograph / Depositphotos.com
Überstundenzuschläge sollen bald steuerfrei und Arbeitstage länger sein. Darauf einigte sich die Regierung, um mehr Arbeitskraft zu schaffen. Doch es gibt Kritik.


Ein erhöhtes Bestellaufkommen zu Peak-Zeiten oder Lieferungen, die noch zu später Stunde ankommen – auch im Online-Handel gibt es hin und wieder die Notwendigkeit für Überstunden. Insbesondere dann, wenn das Personal knapp ist. Denn nach wie vor fehlt es unter anderem im Handel an Fachkräften, etwa in der IT und Logistik, aber auch im Vertrieb und Verkauf: Mehr als jedes fünfte Stellenangebot in der Verkaufsberatung richtet sich an Jobsuchende mit Talent und Erfahrung in der Kundenberatung und -betreuung, wie der aktuelle DEKRA-Arbeitsmarktreport ergab.

„Oft schließen sich Lücken selbst dann nicht mehr, wenn Unternehmen ihre Einstellungsabsichten drosseln. Am Arbeitsmarkt rücken nicht genug junge Menschen nach und zugleich konkurrieren neue Berufsfelder mit angestammten Einsatzbereichen um dieselben Fachkräfte“, erläutert Katrin Haupt, Geschäftsführerin der DEKRA-Akademie. „Das ist eine Kraftprobe für die deutsche Wirtschaft, die ohne eine qualifizierte Zuwanderung und massive Weiterentwicklung der Beschäftigten kaum zu bewältigen sein wird.“ 

Die Bundesregierung hat nun so einige Ideen, wie Wachstum und mehr Arbeitskraft zustande kommen sollen: Die aktuellen Erwerbstätigen sollen einfach mehr arbeiten. Dafür wurden Steuervorteile für Überstunden und Vollbeschäftigung sowie Regelungen für längere Arbeitszeiten geschaffen. Was hat es mit den Maßnahmen auf sich und können sie wirklich etwas bewirken?

Der Acht-Stunden-Tag hat ausgedient

Die Ampelkoalition hat sich – im Zuge des Bundeshaushalts für 2025 und eines Wachstumspakets für Deutschland –  jetzt unter anderem darauf verständigt, dass Zuschläge für Überstunden bei Vollzeitbeschäftigten (mindestens 34 Stunden pro Woche) jetzt steuer- und beitragsfrei sein sollen. Mit anderen Worten: Werden Überstunden gemacht, soll sich das auch finanziell lohnen.

Des Weiteren soll sich ändern, wann wie viel gearbeitet wird. Der FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler hält den „starren Acht-Stunden-Tag“ für ein „altes Dogma“, berichtet unter anderem das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Und deshalb gebe man Unternehmen nun mehr Flexibilität für die Gestaltung der Arbeitszeit.

Derzeit darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer:innen bis auf wenige Ausnahmen acht Stunden nämlich nicht überschreiten. Künftig wären auch zehn Stunden am Tag drin, wenn die acht Stunden binnen sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Schnitt werktäglich nicht überschritten werden. „Das ist ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, dem perspektivisch die vollständige Umstellung von der Tages- auf eine Wochenhöchstarbeitszeit folgen sollte“, so Köhler.

Arbeitnehmer:innen befürworten Idee – sind aber auch besorgt

Die neue Regelung zur Vergütung von Überstunden trifft bei Arbeitnehmer:innen auf gemischte Reaktionen. So befürwortet mit 63,9 Prozent eine Mehrheit grundsätzlich eine Steuerbefreiung von Überstunden für Vollzeitangestellte, ermittelte die Jobbörse Indeed in einer Umfrage, deren Ergebnisse OHN vorliegen. Knapp ein Drittel findet die Idee jedoch nicht gut. Unter den Befürworter:innen sind allen voran Männer mit hohem Einkommen. Frauen bewerten die Zusatzvergütung mehrheitlich negativer, da sie von der Regelung auch seltener profitieren – sie arbeiten öfter in Teilzeit und machen kaum Überstunden. Knapp die Hälfte aller Befragten vermutet, dass die Regelung Teilzeitbeschäftigten gegenüber ungerecht ausfällt.

Ob die Maßnahme tatsächlich fruchtet, bezweifelt Dr. Annina Hering von Indeed. Die Arbeitsmarktexpertin vermutet mit Blick auf die mehrheitlich positive Bewertung der Befragten, dass es zwar in der Theorie eine Option ist, um den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen und zu einer Steigerung der Produktivität in Deutschland beizutragen. „Allerdings befürchte ich, dass dies in der Praxis keineswegs der Fall sein wird“, erklärt sie. 

Expertin: Überstundenregelung könnte Mangel verschärfen

So zeigte die Umfrage auch, dass sich 60 Prozent der Arbeitnehmenden in Deutschland sorgen, die Regelung könne sich negativ auf ihr Privatleben sowie ihre Gesundheit auswirken und von Unternehmen ausgenutzt werden. „Schließlich schafft ein solches Gesetz Anreize dafür, dem Arbeitskräftemangel in Unternehmen durch mehr Überstunden zu begegnen, anstatt offene Stellen möglichst schnell zu besetzen“, stuft die Ökonomin Hering diese Sorgen als berechtigt ein. „Mehr Überstunden führen jedoch auch zu mehr Krankschreibungen“, mahnt sie.

Zudem erschwere es die Regelung, mehr Teilzeitkräfte in Vollzeitjobs zu überführen. „Wenn Männer in ihren Vollzeitjobs zukünftig noch mehr Überstunden leisten und diese Überstunden noch höher bezahlt werden, bleibt ihnen weniger Zeit für Care-Arbeiten wie die Kinderbetreuung. Frauen werden dadurch hingegen die Argumente und auch die Zeit genommen, selbst mehr zu arbeiten. Das ist ein großes Problem“, so Hering. Die Förderung von Überstunden werde den Arbeitskräftemangel in Deutschland deshalb nicht lösen, sondern sogar verstärken, so ihr Fazit. 

Es wird weniger gearbeitet … 

Es gibt weitere Kritikpunkte. So haben Arbeitnehmer:innen den Wunsch, insgesamt weniger zu arbeiten, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ermittelte. Gleichsam liegt die Teilzeitquote auf einem Rekordniveau: Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten erhöhte sich im ersten Quartal dieses Jahres um 1,2 Prozent, die der Vollzeitbeschäftigten sank indes leicht um 0,1 Prozent, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Insgesamt arbeiten etwa 12,2 Millionen Menschen inzwischen in Teilzeit. Rund 9 Millionen davon sind Frauen. Würden sie künftig nur zwei Stunden mehr pro Woche arbeiten, könnten in Deutschland jeden Monat 72 Millionen zusätzliche Arbeitsstunden zusammenkommen, rechnet die Arbeitsmarktexpertin Hering vor. „So viel Potenzial am Arbeitsmarkt kann eine Steuerbefreiung von Überstunden keinesfalls freisetzen“, kritisiert sie. Deshalb sollte die Regierung „lieber mehr Geld in die Kinderbetreuung investieren, damit mehr Frauen arbeiten gehen können, weniger Vollzeitangestellte Überstunden machen müssen und die Arbeit in Deutschland auf mehr Schultern verteilt wird“, so ihr Vorschlag.

Um die Teilzeitquote zu senken und mehr Angestellte in Vollzeit zu bringen, will die Ampel aber anderweitig Anreize schaffen, wie u. a. die Frankfurter Rundschau meldet. „Wenn Arbeitgeber eine Prämie für die Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, wird die Bundesregierung diese Prämie steuerlich begünstigen“, heißt es dazu im Maßnahmenpaket. Allerdings wiesen 2023 „die meisten Mangelberufe für nichtakademische Fachkräfte einen stark unterdurchschnittlichen Teilzeitanteil auf“, heißt es in dem Bericht mit Verweis auf das Statistische Bundesamt weiter. Ob auf diesem Wege also tatsächlich mehr Arbeitskraft entstehen kann, lässt sich anzweifeln.

… und nicht alles bezahlt

Darüber hinaus wird schon jetzt nicht sämtliche Mehrarbeit auch vergütet: Im Schnitt sind es pro Jahr und Arbeitskraft 13,2 bezahlte und 18,4 unbezahlte Überstunden, ermittelte das IAB für das Jahr 2023. Die IG Metall geht von bundesweit 700 Millionen unbezahlten Überstunden aus, berichtet ZDF heute. Und dabei sind die unbezahlten Stunden, die Frauen für Care-Arbeit ableisten, nicht einmal erfasst.  

Frank Bsirske, Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales in der Bundestagsfraktion der Grünen und früherer Vorsitzender der Gewerkschaft Verdi, erklärte gegenüber dem ZDF, dass noch zahlreiche Fragen zu klären sein. Kritisch sieht er beispielsweise, dass Überstunden überhaupt als solche gewertet werden. Generell, aber vor allem in Branchen wie der Gastronomie, Logistik, Wach- und Sicherheitsgewerbe, wo es Probleme mit dem Schwarzmarkt gibt, müsse die Arbeitszeit „fälschungssicher erfasst werden“, so Bsirske. Die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi gab außerdem zu bedenken, dass das Arbeitszeitrecht schon jetzt flexible Arbeitszeitmodelle ermögliche und warnt vor einer politischen Einmischung. Die Belastungen für Menschen seien bereits hoch. Verkürzte Ruhe- und längere Arbeitszeiten würden auch das Unfallrisiko erhöhen, so die Gewerkschafterin.  

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Veröffentlicht: 19.07.2024
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Hanna Behn

Hanna Behn

Expertin für Handel & Unternehmertum

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