Händler in Not: Amazon verpatzt Retouren-Prüfung – Schuldenberg als Folge

Veröffentlicht: 19.07.2024
imgAktualisierung: 19.07.2024
Geschrieben von: Tina Plewinski
Lesezeit: ca. 4 Min.
19.07.2024
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ca. 4 Min.
Amazon-Paket mit Prime-Logo
shirotie / Depositphotos.com
Auch bei Amazon läuft nicht immer alles ganz glatt. In einem speziellen Fall trug allerdings nicht der Konzern die fatale Konsequenz, sondern ein Händler-Paar.


Viele Händlerinnen und Händler, die auf Amazons Online-Marktplatz verkaufen, lassen den Konzern auch die Lagerung, den Versand sowie die Abwicklung von Retouren übernehmen. Indem sie den Fulfillment-Dienst nutzen, können sie Ressourcen sparen und den Fokus umso stärker auf den eigentlichen Verkauf legen. Allerding macht auch Amazon Fehler und das kann sich schlimmstenfalls massiv auf den Geschäftserfolg auswirken, wie ein Händler-Paar aus eigener Erfahrung berichtet.

Auf rund 600.000 US-Dollar sollen sich die Schulden von Paul und Rachelle Baron aus den USA konkret belaufen – und das, obwohl sie mit ihrem kleinen Unternehmen zunächst große Erfolge und beachtliche Umsätze feiern konnten. 

Die Schuld dieser Entwicklung sehen sie bei Amazon: Denn durch eine unzureichende Prüfung eines retournierten Artikels sollen sie eine schlechte Kundenbewertung erhalten haben, die enorme Wellen schlug und schließlich die Geschäfte auf dem Online-Marktplatz rasant einbrechen ließ. Wie sie vom gefeierten Start-up in die Verschuldung abstürzten, berichtete das Paar kürzlich dem Wirtschaftsmagazin Bloomberg.

Eine Firmengeschichte mit beeindruckendem Anfang …

Wiederverwendbare Schwimmwindeln sind das zentrale Produkt, das die Barons mit ihrem Unternehmen „Beau & Belle Littles“ verkaufen. Und das Konzept dieser waschbaren Windeln traf offenbar genau die Bedürfnisse der Kundschaft: Innerhalb kurzer Zeit lag der Umsatz bereits bei einer Million Dollar, wie das Paar erzählte. Die vielen Fünf-Sterne-Bewertungen auf Amazon befeuerten den Erfolg und verschafften dem Unternehmen Top-Rankings in den Suchergebnissen. 

Ihre Erfolgsgeschichte war derart beeindruckend, dass sie in einer US-Talkshow auftraten und auch vom Wirtschaftsmagazin Forbes porträtiert wurden. „Es war die Art von Erfolg kleiner Unternehmen, die Amazon gerne anpreist, vor allem, wenn es von Regulierungsbehörden beschuldigt wird, den kleinen und mittleren Unternehmen zu schaden“, heißt es in dem Bloomberg-Bericht. 

Ein neues Produkt – „mit Kackflecken übersät“

Die Dynamik schien unaufhaltsam zu sein – bis zu eben jener Bewertung, die alles veränderte: „Die Windel kam gebraucht an und war mit Kackflecken übersät“, kommentierte eine Kundin und vergab nur einen Stern. „Nichts hätte ekliger sein können! Ich nehme an, dass jemand die Windel nach der Benutzung zurückgegeben hat und das Unternehmen den Artikel einfach nicht überprüft hat und ihn dann an uns verschickt hat, als wäre er brandneu. Es waren auch keine kleinen Flecken. Ich war extrem angewidert.“ 

Algorithmus lässt das Produkt einbrechen

Doch nicht nur der eigentliche Kommentar wurde den Händlern zum Problem: In der Wirkung verstärkt wurde die negative Rezension durch das Anhängen eines Fotos, auf dem die vermeintlich gebrauchte Windel inklusive der beschriebenen Flecken zu sehen war. Dieses Foto bekamen dann auch alle anderen Besucherinnen und Besucher zu Gesicht.

Die negative Rezension erzeugte auf der Produktseite viel Aufmerksamkeit: Mehr als 100 Kundinnen und Kunden bewerteten den Kommentar als „hilfreich“, wodurch er wiederum an Bedeutung und Sichtbarkeit gewann. Trotz Hunderter Bewertungen mit mehr als vier Sternen rutschte das Produkt schließlich ab, die Verkäufe brachen ein.

Arbeiten unter Druck: Die Krux mit der Zeit und der Sorgfalt

Wie es zu dieser Bewertung kommen konnte, kann nur gemutmaßt werden. Aber das Händler-Paar geht davon aus, dass die Mitarbeitenden bei Amazon nicht genug Zeit beziehungsweise Sorgfalt in die Überprüfung retournierter Produkte gesteckt haben. Auf diese Weise wurde dann wohl eine verschmutzte Windel mutmaßlich als neues Produkt versendet. Unwahrscheinlich dürfte dieses Szenario zumindest nicht sein, da die Teams von Amazon bekanntermaßen auf schnelle und effiziente Arbeitsabläufe getrimmt sind. Und wie die Erfahrung zeigt, passieren Fehler gerade auch durch zeitlichen Druck.

Berater, die in der Branche tätig sind, hätten im Rahmen des Beitrags bestätigt, dass der Wiederverkauf zurückgeschickter Produkte auf Amazon „ein großes und wachsendes Problem“ sei, heißt es bei Bloomberg weiter. Wenn hier Fehler passieren, könne „der Schaden exponentiell“ ansteigen. So war es auch im Fall der verschmutzten Windel. 

Auch die Aussagen eines ehemaligen Mitarbeiters decken sich mit dieser Einschätzung: Manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich um Retouren kümmern, würden demnach zurückgeschickte Pakete teils gar nicht öffnen, um deren Inhalt zu kontrollieren. Dies geschehe etwa dann, wenn eine Versiegelung besteht. Allerdings könne man sich bei manchen Versiegelungen wie Aufklebern oder Reißverschlüssen nicht immer auf eine Unversehrtheit verlassen.

Keine Hilfe durch Amazon

Das Kuriose an diesem Fall: Obwohl das Händler-Paar selbst keine Schuld traf und es keinen Einfluss auf die Qualität der Retouren-Prüfung durch die Amazon-Teams oder die wieder verschickten Produkte hatte, half Amazon offenbar nicht weiter: Den Erzählungen zufolge versuchte es immer wieder, mit Amazon in Kontakt zu treten und die negative Bewertung löschen zu lassen – weil die Rezension eben nicht das eigentliche Produkt betraf, sondern sich auf das Resultat des Fulfillment-Services von Amazon bezog. Selbst stundenlanges Telefonieren mit verschiedenen Abteilungen habe nichts gebracht.

Amazon selbst habe zwar erklärt, dass solche Bewertungen rund um Verpackungs- und Versandproblemen gar nicht zugelassen seien, weil sie sich nicht auf das tatsächliche Produkt beziehen, doch Theorie und Praxis klaffen hier augenscheinlich auseinander.

Einsicht zeigte Amazon indes nicht. Die Rezension blieb – und richtete massiven Schaden an. „Das Ehepaar sagt, es hätte 600.000 Dollar Schulden, darunter ein durch sein Haus gesicherter Kredit, der die Aussicht auf einen Insolvenzantrag erschwert. Es verdiene mit dem Verkauf von Windeln genug, um die Schulden zu tilgen und mehr Ware zu bestellen, sagt es, aber zum Leben reicht das nicht“, so der Beitrag. Ihnen bleibe heute lediglich der Versuch, irgendwann wieder an alte Erfolge anzuknüpfen.

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Veröffentlicht: 19.07.2024
img Letzte Aktualisierung: 19.07.2024
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Tina Plewinski

Tina Plewinski

Expertin für Amazon

KOMMENTARE
2 Kommentare
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Dan
22.07.2024

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So ein Unsinn, es hat doch jeder mal eine Bewertung dieser Art erhalten.
K.I
22.07.2024

Antworten

Unsere Erfahrungen: Das ist soooo typisch Amazon!!! Amazon hat nie Schuld oder Fehler gemacht! Amazon gibt niemals Fehler oder Schuld zu. Amazon erstattet derartige Schäden niemals. Amazon entschuldigt sich niemals. Amazon sieht Händler ausschließlich als Mittel zum Zweck - einer mehr oder weniger ist total egal - es gibt genug Händler und es werden immer weitere kommen. Alle Behörden und Politiker weltweit schauen einfach nur zu.