Fehlende Umsetzung der Barrierefreiheit: Online-Händlern entgehen Umsätze in Milliardenhöhe

Veröffentlicht: 22.07.2024
imgAktualisierung: 22.07.2024
Geschrieben von: Corinna Flemming
Lesezeit: ca. 2 Min.
22.07.2024
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Noch immer ist ein Großteil der Webseiten nicht für Menschen mit Behinderungen ausgelegt. Betreibern entgehen dadurch nicht nur Milliardenumsätze, sie riskieren langfristig auch ihre Online-Präsenz.


Zahlreiche deutsche Webseiten sind nicht oder nur sehr schwer für Menschen mit Behinderungen zugänglich. Wie eine Studie von Accenture jetzt zeigt, sind fast 90 Prozent der Seiten nicht barrierefrei. Damit entgeht den Unternehmen ein riesiges Kaufpotenzial: In der EU haben Menschen mit Behinderung eine Kaufkraft von 2,3 Billionen Euro jährlich. Allein in Deutschland leben rund 12,4 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Diese sind auf verschiedene Hilfsmittel der Webseiten angewiesen – wie beispielsweise die Änderung der Schriftgröße oder die reine Bedienung mit der Tastatur – um diese auch eigenständig bedienen zu können.

Den deutschen Unternehmen entgehen mit der fehlenden Barrierefreiheit nicht nur Umsätze in Milliardenhöhe, ihnen drohen ab dem nächsten Jahr durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) außerdem empfindliche Sanktionen wie Abmahnungen, Beschwerden oder Bußgelder. Webseiten, die nicht den Mindeststandards entsprechen, könnten im schlimmsten Fall sogar von den Behörden gesperrt werden. Ab dem 28. Juni 2025 müssen sich Webseitenbetreiber dann an die Vorschriften halten, die im Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) festgelegt werden und durch zahlreiche kleinteilige Verordnungen wie den international anerkannten Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) ergänzt werden.

Mammutprojekt Barrierefreiheit 

Dass viele große Unternehmen wie Media-Markt-Saturn, die Deutsche Bahn oder auch die Deutsche Bank derzeit noch nicht die zukünftigen Standards erfüllen, soll vor allem an der komplexen Umsetzung liegen. Die Otto Group beispielsweise spricht im Handelsblatt von einem „sehr aufwendigen Mammutprojekt“. Bei Zalando arbeitet man mit externen Partnern zusammen und die Allianz investiert bereits intensiv in die barrierefreie Gestaltung ihrer Homepage. Die Lufthansa soll dafür einen Millionenbetrag veranschlagt haben.

Ein Test der Organisation „Aktion Mensch“ und Google zeigt, dass aktuell nur ein Fünftel der 71 meistbesuchten Shopping-Portale teilweise barrierefrei ist. Viele Webseiten sind nicht mit der Tastatur bedienbar, was eine Grundvoraussetzung für viele Menschen mit Behinderungen ist. Fehlende sichtbare Fokusmarkierungen und eine unlogische Tab-Reihenfolge erschweren die Navigation zusätzlich. Screenreader, die Webseiten vorlesen, sind oft nicht nutzbar, wenn Texte zu lang, unverständlich oder gar nicht vorhanden sind.

Bereits über 4.000 Klagen in den USA

Wie wichtig die korrekte Umsetzung der Barrierefreiheit ist, zeigt ein Blick in die USA. Da ist die Barrierefreiheit von Webseiten bereits durch den „Americans with Disability Act“ vorgeschrieben. Wird dies nicht umgesetzt, kann es zu Millionenklagen kommen. Allein im vergangenen Jahr soll es rund 4.600 entsprechende Gerichtsverfahren gegeben haben. Große Unternehmen wie Target und Domino’s Pizza mussten bereits Strafen von mehreren Millionen Dollar zahlen, weil ihre Webseiten für Menschen mit Behinderung nicht komplett zugänglich waren. Auch hierzulande könnten dann künftig derartige Beschwerden eingereicht werden. Allerdings (noch) ohne die empfindlichen Strafen nach amerikanischem Vorbild. 

Artikelbild: http://www.depositphotos.com

Veröffentlicht: 22.07.2024
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Corinna Flemming

Corinna Flemming

Expertin für Internationales

KOMMENTARE
3 Kommentare
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Dirk
25.07.2024

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Hallo, für wen gilt denn das "Barrierefreiheitsstärkungsgesetz"? Doch nicht für alle Webseiten, respektive Onlineshops? Wenn ich den Gesetzestext richtig verstehe, beschränkt sich der Anwendungsbereich überwiegend auf Hardwaresysteme, Selbstbedienungsterminals, Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungs-umfang, E-Book-Reader. Oder meint der Terminus "Telekommunikationsdienste" schlicht praktisch alles, was im Internet stattfindet - also jede Website? Es wäre schön, wenn Ihr hier einmal ein bisschen Licht ins Dunkel bringen könntet... __________________________________________________________________________ Antwort der Redaktion Lieber Dirk, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz gilt für alle Online-Shops. Beste Grüße die Redaktion
Ralf
24.07.2024

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Ist das nicht eine Sache von Hardware? Wenn ich eine Maus nicht bedienen kann, dann brauche ich ein entsprechendes Eingabegerät. Wenn ich keine Tastatur bedienen kann, dann brauche ich eine Sprachsteuerung, dafür also ein Mikrofon. Wie soll jetzt der Shopbetreiber dafür sorgen, dass der User am anderen Ende ein Mikrofon besitzt? Mikrofone im Shop anbieten? Stephen Hawking ist da das beste Beispiel. Er konnte bequem im Internet surfen, weil er entsprechende Geräte hatte. Es wurden keine Webseiten umprogrammiert, wie denn auch. Es ist eine reine Sache der Eingabegeräte. Wenn jemand Blind ist, dann brauch er einen Gerät der ihm die Webseite vorliest. Taubstumme können ja lesen und auch Tastatur und Maus bedienen. Menschen die in der Bewegung eingeschränkt sind, können dies per Sprachsteuerung machen oder eventuell mit dem neuen Chip von Elon Musk, wenn dieser ausgereift ist.
Peter
23.07.2024

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Hallo, größere Schrift und so kann ich ja verstehen aber bei welcher Art der Behinderung ist denn eine Tastaturbedienung von Vorteil? Ich habe einen barreirefreien online-Shop gerade ausprobiert. Nach 30x auf die Tab-Taste drücken war ich im Auswahlmenü ...und dann beim 31x klicken wieder raus. Also wieder von vorn. Wer ist denn in der Lage 30 x eine Taste zu drücken aber unfähig eine Maus zu bedienen? Wüde mich sehr über eine Antwort freuen. Danke. __________________________________________________________________________ Antwort der Redaktion Lieber Peter, wir verstehen, dass die Barrierefreiheit ein großes Thema für Händler ist und auch mit einem gewissen Aufwand verbunden. Die Tastaturbedienbarkeit von Webseiten ist jedoch ein wichtiges Kriterium für die Barrierefreiheit, da es Personen mit verschiedenen Arten von Behinderungen ermöglicht, Webseiten zu nutzen. Personen mit eingeschränkter Feinmotorik (z.B. bei Parkinson-Krankheit) haben Schwierigkeiten, die präzisen Bewegungen mit einer Maus auszuführen. Eine Tastatur bietet dagegen größere Tasten und eine stabilere Oberfläche, die einfacher zu bedienen ist. Hinzu kommen spezielle Tastaturen oder Eingabegeräte, die an die Bedürfnisse behinderter Menschen angepasst sind. Wir werden uns in den kommenden Monaten noch intensiv mit der Vorbereitung beschäftigen und alle wichtigen Fragen hier auf dem Portal beantworten.