Dieser Artikel ist Teil unserer Marktplatz-Themenreihe: Diese beleuchtet in verschiedenen Beiträgen nicht nur wichtige Zahlen und Fakten rund um Ebay, Temu und Co., sondern liefert Händlerinnen und Händlern auch rechtliche Hintergrundinformationen rund um Vertriebsbeschränkungen, Abmahnfallen und Zahlungsprobleme. Außerdem finden sich neben informativen Überblicksartikeln auch verschiedene Tipps für den Handel auf Marktplätzen.
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Vor kurzem machte Miele mächtig Schlagzeilen in der E-Commerce-Branche: Das Traditionsunternehmen verkündete den Rückzug von Amazon und verbietet seitdem strikt den Verkauf der Produkte auf dem Marktplatz. Wer dennoch Miele-Ware anbietet, wird abgemahnt (wir berichteten). Solche Plattformverbote sind tatsächlich nicht selten und werden immer wieder zum Gegenstand von Gerichtsverhandlungen.

Wir haben uns mit Kartellrechtsexperte und Rechtsanwalt Dr. Nils Ellenrieder über diese Art der Vertriebsbeschränkung unterhalten. Dabei beschäftigt uns vor allem die Frage, was Händler:innen tun können, wenn eine Marke plötzlich „Nö“ zu einem Marktplatz sagt.

OnlinehändlerNews: Welche rechtlichen Grundlagen erlauben es Herstellern wie Miele, den Vertrieb ihrer Produkte auf Plattformen wie Amazon zu beschränken?

Nils Ellenrieder: Das Kartellrecht wird ganz wesentlich europarechtlich festgelegt und die Europäische Kommission hat für Einschränkungen bezüglich der Nutzung von Online-Marktplätzen einschließlich sog. Plattformverbote neue Regeln festgelegt. Es gibt eine sog. Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsvereinbarungen und dazugehörige Leitlinien der Kommission, welche als Auslegungshilfe in der Praxis eine sehr wichtige Rolle spielen. Das Bundeskartellamt und deutsche Gerichte sind an die Leitlinien nicht gebunden, es ist aber wenigstens eine sehr wichtige Orientierungshilfe.

Die Europäische Kommission hat durch die jüngsten Kartellrechtsreformen auf europäischer Ebene die kartellrechtliche Zulässigkeit von Plattformverboten tendenziell für Hersteller erleichtert.

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Plattformverbote sind leichter durchzusetzen

Unter welchen Umständen sind solche Vertriebsbeschränkungen rechtlich zulässig? 

Hersteller verfolgen aus verschiedenen Motiven, insb. aus Gründen der besseren Kontrolle über ihre Markenpräsenz, eine Beschränkung der Nutzung von Online-Plattformen wie etwa Amazon oder Ebay. Vor der jüngsten Kartellrechtsreform hat dies bei Asics, Scout und Co. zu vielen Rechtsstreitigkeiten geführt. Nach dem neuen Recht ist es für Hersteller tendenziell einfacher, Plattformverbote durchzusetzen, es kommt aber auch nach der Reform auf die Umstände des Einzelfalls an, sodass auch nach wie vor Abwehrmöglichkeiten bestehen.

Seit Mitte 2022 gilt im Europäischen Recht die Regel, dass Plattformverbote tendenziell unter erleichterten Bedingungen als zulässig gelten, sofern der Hersteller nicht bezweckt, die wirksame Nutzung des Internets für den Abnehmer an sich zu verhindern (und die Marktmacht des Herstellers und des Abnehmers begrenzt ist). Beschränkungen von Online-Verkäufen dienen in der Regel nicht diesem Ziel, wenn es dem Abnehmer weiterhin freisteht, einen eigenen Online-Shop zu betreiben und online zu werben. In diesen Fällen wird der Abnehmer nicht daran gehindert, das Internet für den Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen wirksam zu nutzen. Plattformverbote sind somit häufiger rechtfertigbar, es ist aber in jedem Fall eine Einzelfallbetrachtung angezeigt, ob die kartellrechtliche Zulässigkeit wirklich gegeben ist oder ob das Plattformverbot kartellrechtswidrig ist.

Darüber hinaus ist nicht ausgeschlossen, dass das Bundeskartellamt und die deutschen Gerichte Plattformverbote rechtlich etwas kritischer prüfen werden. Wenn bspw. eine bestimmte Plattform für den Verkauf eines bestimmten Produkts von herausragender Bedeutung ist, ist die Rechtfertigung für ein Plattformverbot auch nach dem Ansatz des Europäischen Rechts nur schwer möglich. Hohe Marktanteile von Hersteller oder Abnehmer können im Einzelfall ebenfalls zur Unzulässigkeit von Plattformverboten führen, falls keine guten Rechtfertigungsgründe vorliegen.

Was sind die möglichen rechtlichen Konsequenzen für Händler, die trotz Vertriebsbeschränkungen weiterhin Produkte auf diesen Plattformen verkaufen?

Zunächst einmal ist immer zu prüfen, ob die Vertriebsbeschränkung kartellrechtlich wirklich zulässig ist und überhaupt wirksam vereinbart wurde. Denn die Vertriebsbeschränkung gilt nicht automatisch, sondern nur, wenn die Parteien das Plattformverbot auch wirksam vereinbart haben. Gerade bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist die Rechtmäßigkeit und wirksame Einbeziehung kritisch zu prüfen. Falls das Plattformverbot greift, muss ggf. Schadensersatz an den Hersteller gezahlt werden. Außerdem droht eine Inanspruchnahme auf Unterlassung, zunächst mittels Abmahnung sowie ggf. eine Kündigung der Lieferbeziehung.

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Rechtswidrige Vertriebsbeschränkungen akzeptieren? Lieber nicht!

Welche Schritte können Händler unternehmen, um sich vor unerwarteten Vertriebsbeschränkungen zu schützen?

Händler sollten die Geschäftsbedingungen der Hersteller genau prüfen, ob Vertriebsbeschränkungen vom Hersteller auferlegt werden. Ggf. ist das Thema offensiv zu adressieren, sodass man das Plattformverbot möglicherweise wegverhandeln kann. Es besteht grundsätzlich keine Pflicht, derartige Beschränkungen des Weitervertriebs als Abnehmer zu akzeptieren. Man kann sich im Gegenteil auf den Standpunkt stellen, dass man nur dann ein Plattformverbot akzeptieren kann, wenn die Kartellrechtsmäßigkeit nachgewiesen wird. Ansonsten würde der Händler sich im Prinzip an einem Kartellrechtsverstoß beteiligen.

Gibt es Strategien, die Händler anwenden können, um mit Herstellern zu verhandeln, damit sie ihre Produkte weiterhin verkaufen dürfen?

Zunächst einmal muss die zeitliche Komponente in die Betrachtung einbezogen werden. Nur die Waren, bei denen ein Plattformverbot vor der Lieferung vereinbart wurde, können unter das Plattformverbot fallen. Produkte, die bereits vorher erworben wurden, werden nicht automatisch erfasst. Falls im Rahmen einer laufenden Lieferbeziehung ein Plattformverbot eingeführt werden soll, sollte zudem eine angemessene Übergangsfrist verlangt werden, insbesondere wenn das Plattformgeschäft einen wesentlichen Teil des Absatzgeschäfts hinsichtlich des betreffenden Produkts ausgemacht hat.

Die Strategie hängt im Übrigen davon ab, ob auch der Absatz über den eigenen Webshop ein wichtiger Kanal ist und man somit Geschäftspotenzial bietet. Falls dies der Fall ist, sollte man die Kündigung der Geschäftsbeziehung durch den Hersteller vermeiden und ein Plattformverbot (mit Übergangsfrist) kann eher akzeptabel sein. Aber auch hier sollte man die Kartellrechtsmäßigkeit im Auge behalten, da man sich im Falle des Verstoßes gegen das Kartellrecht durch eine Akzeptanz beteiligt.

Falls der Hersteller Marktmacht hat, kommt schließlich denkbarerweise auch die Argumentation ins Spiel, dass der Hersteller alle Kunden gleich behandeln muss und somit ein Plattformverbot nicht in diskriminierender Weise eingeführt werden darf.

Wie sehen Sie die Entwicklung des Wettbewerbsrechts in Bezug auf Online-Vertriebsbeschränkungen? Stehen Änderungen bevor, die Händler kennen sollten?

Die wesentlichen kartellrechtlichen Änderungen sind erfolgt, jedoch wird es spannend sein, wie die nationalen Kartellbehörden und die nationalen Gerichte die neue Rechtslage auslegen werden. Dies wird in nächster Zeit intensiv zu beobachten sein.

Vielen Dank für das Interview!

Über den Interviewpartner

Ellenrieder 1

Dr. Nils Ellenrieder LL.M. (Edinburgh) ist Kartellrechtsspezialist und seit mehr als einem Jahrzehnt als Rechtsanwalt auf dieses Rechtsgebiet fokussiert.  Zudem lehrt er Kartellrecht an der FOM Hochschule für Ökonomie & Management. Er berät Mandanten in allen Fragen rund um E-Commerce und Onlinehandel im Kartellrecht. Dies betrifft insb. die Durchsetzung von Ansprüchen und die Beratung bei Vertragsverhandlungen und Ausgestaltung von Vertrags- und Businessmodellen sowie die Verteidigung von Unternehmen im Fall vermeintlicher Verstöße.

 

 

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