Der Online-Konzern sieht sich erneut mit Vorwürfen zu Arbeitsbedingungen konfrontiert. So soll Amazon prekäre Verhältnisse bei Kurierunternehmen begünstigen. 

Durch strenge Vorgaben in den Verträgen mit Subunternehmen soll Amazon die Ausbeutung von Zusteller:innen begünstigen. Darauf sollen interne Unterlagen aus den letzten vier Jahren hindeuten, in die die Faktencheck-Redaktion Correctiv sowie auch der Saarländische Rundfunk (SR) und die Nordsee-Zeitung Einsicht gehabt haben. Dabei handele es sich unter anderem um Verträge zwischen Amazon und Subfirmen, sogenannten Delivery Service Partnern (DSP). 

„Mit rigiden Vorgaben schränkt Amazon die unternehmerische Freiheit der Subunternehmer ein und ermöglicht ihnen Branchenexperten zufolge nur geringe Gewinnmargen. Diesen Druck geben die Subunternehmer an ihre Fahrer weiter“, schreibt Correctiv mit Verweis auf die Dokumente und Aussagen von Lieferpartnerunternehmen. „Man kann kein erfolgreiches Amazon-Subunternehmen führen mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen“, soll etwa ein ehemaliger Unternehmer erklärt haben.

Wirtschaftlicher Druck für die Subunternehmen

Amazon verspreche Gewinne von 60.000 bis 140.000 Euro pro Jahr. Um die untere Gewinngrenze zu erreichen, sei es jedoch nötig, dass ein:e Subunternehmer:in schon etwa zwölf Monate lang 20 Lieferwagen im Einsatz habe, berichtet die Tagesschau zum Thema. Dabei müssten wesentliche Posten wie Auto-Leasing, Buchhaltungssoftware und Versicherungen über Amazon-Vertragspartnerfirmen gelöst werden, gleichzeitig sei es nötig, dass es ausreichend Routen gebe, die vergütet werden. Eine Garantie dafür gebe es von Amazon nicht. Diese Zahlen seien von den Subunternehmen nicht einzuhalten, meint Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz: „Der Druck wird dann wirklich ungefiltert, ungebremst an die eigenen Mitarbeiter weitergegeben.“ Seiner Einschätzung nach gehöre die Ausbeutung der Zustellenden damit zum „Kern der Strategie von Amazon“.

Weiterer finanzieller Druck würde zudem durch das Vergütungsmodell und beispielsweise durch die Nichtzahlung für Überstunden entstehen, heißt es bei Correctiv.

Enge Vorgaben für Subunternehmen

Fast alles werde bestimmt oder von Amazon kontrolliert, bestätigen Wortmeldungen der aktiven bzw. ehemaligen Partnerfirmen. Eine Person erklärte etwa, dass sie lediglich über Einstellungen und Kündigungen selbst bestimmen dürfe. Neben Vorgaben zur Größe der Fahrzeugflotte gebe es auch ein Abwerbeverbot für Angestellte anderer DSP-Firmen sowie Entscheidungen zur Entlohnung. Kurier:innen, die Amazon-Bestellungen ausliefern, würden während ihrer Arbeit per Smartphone-App getrackt – obwohl sie nicht direkt bei dem Konzern angestellt seien. Des Weiteren gebe es wortwörtliche Hinweise zur Kommunikation mit den Angestellten, wenn die Zusammenarbeit zwischen Subunternehmen und Amazon ende. 

Das könne problematisch sein. Weisungen müssten eigentlich vom Arbeitgeber und nicht vom Auftraggeber kommen, erläutert etwa Manfred Walser, Professor für Arbeitsrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der Hochschule Mainz, im Bericht von Correctiv. Ist es andersherum, könne es sich um „verdeckte Leiharbeit“ handeln. Hinweise für eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung sieht auch der Bremer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Frank Ewald. Es handele sich um „sehr geschickte und kompliziert formulierte Knebelverträge“, wird er bei der Tagesschau zitiert. Amazon gebe zwar die Verantwortung und auch wirtschaftliche Risiken für die Angestellten an die Subfirmen ab, behalte aber die Kontrolle über die Ausführung ihrer Arbeit. 

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Amazon dementiert Vorwürfe

Der Online-Händler wird zu den Anschuldigungen in den Medienberichten mehrfach zitiert und nimmt entsprechend Stellung. Demnach weist das Unternehmen die Anschuldigungen zu einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung zurück. „Ausschließlich die Lieferpartner als Arbeitgeber erteilen ihren Fahrer:innen Anweisungen und ausschließlich sie erfüllen die Kernfunktionen eines Arbeitgebers“, so Amazon. Zudem könnten die Lieferfirmen ihre Geschäfte nach eigenem Ermessen führen – und etwa entscheiden, wie viele Angestellte sie haben, welche Routen sie nutzen oder ob sie noch andere Aufträge annehmen. Weiter heißt es, dass man das Feedback der Subunternehmen aufnehme und die Zusammenarbeit offenbar als fruchtbar wahrnehme: „Die hohe Zahl der Lieferpartner, die schon seit mehreren Jahren in Vertragsbeziehungen mit Amazon stehen, beweist die Möglichkeit eines langfristigen wirtschaftlichen Erfolgs“, wird ein weiteres Statement des Konzerns zitiert. 

Auf Nachfrage erläuterte Amazon überdies: „Wir haben zehntausende Mitarbeiter:innen in Deutschland und hunderte Lieferpartner und viele andere Partner, mit denen wir regelmäßig und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Von den allermeisten hören wir täglich, dass sie stolz auf ihre Arbeit sind und gerne mit uns zusammenarbeiten. Wir wissen auch, dass es in seltenen Fällen vorkommt, dass ein:e Fahrer:in keine guten Erfahrungen macht und wir arbeiten intensiv daran, die Gründe zu verstehen und es zu verbessern. Amazon hat in Deutschland außerdem eine Hotline eingerichtet, die allen Fahrer:innen in verschiedenen Sprachen zur Verfügung steht. Dort können die Zusteller:innen auch anonym Verstöße gegen geltendes deutsches Recht ansprechen. Wir gehen jedem Fall nach und klären mögliche Probleme mit dem zuständigen Arbeitgeber.“ Auch erklärte der Konzern, dass es regelmäßige Überprüfungen gebe. „Bei wesentlichen Vertragsverletzungen oder Hinweisen auf illegale Handlungen beenden wir die Zusammenarbeit mit dem Partner.“ 

Kritik an dem DSP-Modell gibt es unter anderem aus den USA. Dort gingen Auseinandersetzungen bereits vor Gericht. Auch sei in den Vereinigten Staaten die Verletzungsquote vor allem bei DSP-Unternehmen und bei den sogenannten Flex-Fahrern (in Deutschland inzwischen eingestellt) höher als bei direkten Amazon-Fahrer:innen. Im Herbst des letzten Jahres hatte Amazon Leistungsverbesserungen und höhere Gehälter für die DSP-Firmen in den USA eingeführt. Polizei und Zoll deckten hierzulande in der Vergangenheit immer mal auch Verstöße etwa gegen den Mindestlohn oder Fälle von Verdacht auf Schwarzarbeit in Amazon-Subunternehmen auf. Missstände bei den Arbeitsbedingungen werden zudem etwa auch von Gewerkschaften moniert. 

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