Schutz der Verkäuferleistung: Rettung für Händler oder Tropfen auf den heißen Stein?

Veröffentlicht: 30.09.2024
imgAktualisierung: 30.09.2024
Geschrieben von: Ricarda Eichler
Lesezeit: ca. 5 Min.
30.09.2024
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ca. 5 Min.
Mann vor PC
Erstellt mit Dall-E
Amazons Schutz der Verkäuferleistung soll Händler:innen helfen, Kontosperrungen zu vermeiden. Wir schauen, ob es hält, was es verspricht.


Im April dieses Jahres führte Amazon das Programm „Schutz der Verkäuferleistung“ (im Englischen Account Health Assurance, AHA) in Europa ein. Mit dem verheißungsvollen Angebot sollte der Händlerschaft endlich ein brauchbares Mittel an die Hand gegeben werden, um gegen Kontensperrungen vorzugehen. 

Ein Unterfangen, welches bisher für viel Ärgernis sorgte. Denn wie man aus der Kritik der Händler:innen stets deutlich heraushört, ist vor allem die Kommunikation und Lösungsfindung mit Amazon eine wahre Herausforderung.

Mittlerweile ist ein halbes Jahr ins Land gestrichen und wir wollen uns ansehen: ist das Programm die erhoffte Lösung? Hierzu sprachen wir sowohl mit Amazon, als auch einem Amazon Experten und einer Händlerin.

So funktioniert das Kontenschutzprogramm

Wer auf Amazon verkauft, wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits Kontakt mit dem Seller Support gemacht haben dürfen. Denn im Namen der Kundenfokussiertheit hat der Marktplatz strikte Regeln, an welche Seller sich halten müssen. Dauert die Antwort mal zu lang, weil jemand krank wurde, oder entspricht die Ware nicht den Ansprüchen der Kundschaft, bekommt man das schnell zu spüren. Ist dies der Fall, muss das Problem mit dem Seller Support geklärt werden. Doch diesen zu erreichen, kann mitunter eine Sisyphusaufgabe sein.

Dieses Problem erkannte auch Amazon und führte daher mit „Schutz der Verkäuferleistung“ eine zusätzliche Support-Stufe für Seller mit konstant guter Verkaufsleistung ein. Nutzen können diese Seller, deren Verkäuferleistung seit mindestens sechs Monaten 250 Punkte oder mehr betrug. Die Verkäuferleistung ist ein von Amazon eingeführter Maßstab zur Einordnung von Sellern. Wie konkret die Leistung kalkuliert wird, gibt das Unternehmen nicht preis, sie setzt sich aber im Wesentlichen aus der Kundenzufriedenheit, der Einhaltung von Richtlinien sowie der Versandleistung zusammen.

Unter diese 250 Punkte dürfen die Seller innerhalb der sechs Monate nicht mehr als zehn Tage abrutschen. Weiterhin muss eine Notfalltelefonnummer im Seller Central hinterlegt sein. Erfüllt man diese Maßgaben, wird man automatisch zum Programm hinzugefügt und erhält künftig von einem designierten Support-Team einen Anruf, sobald etwas kritisch erscheint.

Amazon zeigt sich zufrieden

Das Programm AHA wurde vor Europa bereits auf dem US-Amerikanischen Markt eingeführt. Wie uns aus Unternehmenskreisen bestätigt wurde, konnte es sich dort als sehr zufriedenstellend erweisen und wurde aufgrund dessen ausgeweitet. Dazu, wie viele Händler:innen den erweiterten Schutz nutzen, konnte man uns jedoch leider keine konkreten Zahlen nennen.

Grundsätzlich agierte Amazon mit der Einführung auf Feedback der Händlerschaft und folglich ist es wenig verwunderlich, dass jene Händler:innen, die es auch nutzen können, über die zusätzliche Kontaktstufe durchaus erfreut sind. So bestätigte das Unternehmen gegenüber Onlinehändler News die positive Annahme des Programms.

Hilfreich ist dabei auch, dass das Seller-Support-Team, welches sich um Anfragen der AHA-Händlerschaft kümmert, ein eigenständiges Team ist. Die Mitarbeitenden haben somit einen überschaubareren Stamm an Händler:innen zu betreuen, als wenn sie gleichzeitig noch die übrigen Anfragen zu bearbeiten hätten.

„Eine Kontensperre konnte bereits erfolgreich abgewehrt werden!“

Doch wie kommt das Programm jetzt tatsächlich bei der Händlerschaft an? Auf einen Aufruf unter Händlerbund-Mitgliedern hin meldete sich Carolin Langner vom Blumensamen-Shop LaCaTho bei uns. Ihr Shop fiel unter die Maßgaben zur Teilnahme und bekam diese bereits zum Start des Programms angeboten. Ob man das Angebot annimmt oder nicht, konnte sie daraufhin selbst entscheiden – und entschied sich dafür.

Tatsächlich eine gute Wahl, denn seither kam es bereits zu einem Fall, bei welchem aufgrund von Krankheit die Auslieferung von Bestellungen ins Stocken geriet. Statt einer direkten Kontensperre erhielt Langner ein Pop-Up innerhalb des SellerCentral, welches auf die Problematik hinwies und ein 24 Stunden Zeitfenster zur Klärung gewährte. Allein dies ist schon eine deutliche Besserung zum üblichen Umgang. Kommunikation vor Aktion.

Nach Anruf bei der genannten Telefonnummer konnte Langner die Probleme erklären und wurde mithilfe eines Lehrvideos erneut über die Regelungen zur Einhaltung von Versandzeiten aufgeklärt. Das Telefonat quittierte die Klärung und bereits am nächsten Tag waren die Warnungen über Versandverzug verschwunden.

Eine Kritik, welche man zu Einführung des Programms in einschlägigen Online-Foren häufiger las, war, dass Händler:innen, die Verkäuferleistung mit 250 Punkten als eine zu hohe Eintrittshürde empfanden. In Langners Augen komme dies stark auf die Produktkategorien an. Im Bereich der Pflanzensamen liegt die Rücksendequote praktisch bei null, was ihr hier deutlich zugutekommt. Folglich stellte die Eintrittsschranke für sie kein Problem dar.

„Top Programm, aber komplett verlassen sollte man sich nicht darauf.“

Ein weiteres Stimmungsbild liefert uns Amazon-Experte Toni Tubanisch. Er war früher selbst für Amazon tätig und berät jetzt Unternehmen in Sachen Amazon-Strategie und Skalierung. Von seinen Klient:innen konnten sich bis auf eine Ausnahme alle für das Verkäuferschutzprogramm qualifizieren. Dennoch sieht Turbanisch die Eintrittshürde kritisch.

„Die hohe Punktzahl, ist sicherlich ein großer Kritikpunkt, nicht nur für kleinere Seller. Auch für Seller, die für Amazon Standards hochpreisige Produkte verkaufen, welche sich aber langsam drehen. Denn die Punktzahl erhöht man mit verkauften Einheiten und nicht Umsatz. Bei Händlern, welche stark saisonale Portfolios haben, bedeutet das im Ernstfall, dass gerade zu ihrer Hauptsaison oft kein Schutz besteht“, so Turbanisch.

Generell empfindet Turbanisch das Programm jedoch als Schritt in die richtige Richtung, auch wenn bisher keines seiner Klientenunternehmen den Ernstfall proben konnte. In jedem Fall rät der Experte Händler:innen aber dazu, sich nicht komplett in Sicherheit zu wiegen. Eine gute Reaktionszeit und stete Wachsamkeit seien der beste Schutz. Ein hilfreiches Mittel kann es hierfür sein, sich den Seller Central Bereich „Prävention und Verkäuferleistung“ als Startseite zu setzen. So habe man stets die wichtigsten Kennzahlen im Blick und kann reagieren, bevor es zu spät ist.

Fazit: Gut, mit Luft nach oben

Man sollte meinen, dass sich Konflikte am besten durch Kommunikation lösen lassen, wäre kein Geheimnis. Offenbar ist diese althergebrachte Weisheit aber doch für manches Unternehmen etwas, was erst durch jahrzehntelangen Betrieb und Feedback von außen eingeführt wird. Auf jeden Fall ist das Programm Schutz der Verkäuferleistung eine Besserung zum vorherigen Zustand – zumindest für die Händler:innen, die es nutzen können.

Trotzdem ist da durchaus noch Luft nach oben. Denn eigentlich sollte es doch im Geschäftsbereich zum guten Ton gehören, zu kommunizieren, bevor man eskaliert. Eigentlich, sollte das doch der Standard sein, und nicht das super-duper-extra-deluxe-Programm für ein paar Auserlesene. Eigentlich könnte man doch erwarten, dass ein Unternehmen, welches seine Kundschaft so in den Fokus stellt, auch erkennt, dass zufriedene Kundschaft mit zufriedener Händlerschaft einhergeht. 
 



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Veröffentlicht: 30.09.2024
img Letzte Aktualisierung: 30.09.2024
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Ricarda Eichler

Ricarda Eichler

Expertin für Nachhaltigkeit

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