Aus! Schluss! Vorbei! Amazon hat die Standortsuche für seinen zweiten Hauptsitz beendet. Nein, einen „Gewinner“ gibt es noch nicht, aber immerhin ist die Annahmefrist jetzt ganz offiziell beendet. Und jetzt kommt es: Nach Angaben von Amazon gab es 238 (!) Bewerbungen bzw. Anträge von 54 Staaten, Provinzen, Distrikten und Territorien in den USA, Kanada und Mexiko.

Amazon der Heilsbringer?

Dass muss man sich mal vorstellen: 238 Bewerbungen. Meine Güte, Amazon ist aber beliebt. Kein Wunder – der Konzern verspricht ja auch vieles. So will man mehr als fünf Milliarden Dollar in den neuen Standort investieren und 50.000 hochbezahlte Arbeitsplätze schaffen. Neben den direkten Ausgaben für Personal und Investments sollen durch den Bau und den laufenden Betrieb des HQ2 zusätzlich Zehntausende Jobs und Investitionen in umliegende Gemeinden von mehreren Milliarden US-Dollar geschaffen werden. Dass das auch passieren wird, bezweifelt wahrscheinlich keiner. Als Vergleichsdaten, was man als zukünftiger Standort erwarten kann, hat Amazon seine Investments in Seattle mal aufgeschlüsselt.

Amazons Investitionen in Seattle
© Amazon.com | Screenshot

So hat Amazon nach eigener Aussage in Seattle 53.000 zusätzliche Jobs geschaffen und 38 Milliarden Dollar in die lokale Wirtschaft gespült. Beides Werte, die sich aus den direkten Inventionen von Amazon ergeben haben. Noch eine dritte Zahl: Das Einkommen von Nicht-Amazon-Mitarbeitern hat sich in sechs Jahren um 17 Milliarden US-Dollar erhöht. Ganz im Ernst: Die Zahlen klingen traumhaft. Amazon als Heilsbringer für durch Finanz- und Immobilien-Krise geschüttelten Städte. Ein Traum.

„City of Amazon“ – es klingt wie ein Witz

Kein Wunder also, dass es so viele Bewerbung gab. Wie t3n berichtet, haben sich Bewerber auch einiges einfallen lassen, um auf sich aufmerksam zu machen. Aus Arizona gab es für CEO Jeff Bezos einen riesigen Kaktus, der Bürgermeister von Kansas City, Sly James, hat 1.000 Produkte bei Amazon gekauft und mit 5-Sterne-Bewertungen versehen, in New York erstrahlte das Empire State Building in „Amazon Orange“ und die Stadt Stonecrest in Georgia bot an, einen Teil der Stadt in „City of Amazon“ umzubenennen. Andere setzen auf finanzielle Anreize – so wirbt New Jersey mit Steuergeschenken in Milliardenhöhe.

Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass bei weitem nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen ist. Ich muss bei der Amazon HQ2-Geschichte die ganze Zeit an Olympia denken. Da wird auch immer viel versprochen. Doch am Ende bleiben die Städte auf den Kosten für den Bau oder die Erneuerung der Anlagen sitzen. Finanziell geht es den Städten nachher meist sogar schlechter als vorher. Der Vergleich mit dem Amazon HQ2 hinkt da sicherlich ein Stück weit – schon allein die Tatsache, dass Amazon ja nicht nur für vier Wochen vorbei schaut und sich dann wieder verzieht. Aber wir reden hier immer noch von Amazon. Einem Konzern, der für seine doch teilweise sehr fragwürdigen Arbeitsbedingungen bekannt ist, wird sich sicherlich auch in puncto Kooperation mit der Stadt so einiges herausnehmen.

Jede Medaille hat zwei Seiten

Und schon allein die Tatsache, dass New Jersey mit Steuergeschenken in Milliardenhöhe auf sich aufmerksam macht, ist doch ein deutliches Zeichen, wo es eigentlich hingeht. Klar bringt Amazon viel Geld mit, doch wie viel landet dann in den öffentlichen Kassen? Und davon mal ganz abgesehen, wird es auch Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt geben. In Seattle sollen beispielsweise die Mietpreise für Wohnraum massiv angestiegen und das Straßennetz soll überlastet sein. Auch für die lokalen Händler sei der Druck durch den Online-Riesen deutlich spürbar. Wie businessinsider.de unter Berufung auf den Toronto Star schreibt, hat James Thomson, Ex-Chef von Amazon Services, erklärt, dass eine Ansiedlung von Amazon durchaus mit Risiken behaftet ist. „Die Kosten sind ein Kompromiss zwischen Schulen, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung usw.“, sagte er. „Kann Toronto 50.000 High-Net-Verdiener unterstützen, die alle gute Häuser, nette Restaurants, einfache Pendelverbindungen usw. wollen? Amazon ist KEIN Fan von Gewerkschaften oder Regulierung,“ soll Thomson gesagt haben. Tatsächlich gibt es sogar einen offenen Brief, der von 21 Staaten unterschrieben wurde, in dem eine ganze Menge Sorgen in Bezug auf das HQ2 zum Ausdruck kommen – unter anderem geht es um das Einstellen von Leuten von außerhalb des Staates, fehlender Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, unerschwinglicher Wohnraum und Gentrifizierung.

Allein der offene Brief zeigt, dass Städte und Staaten durchaus auch kritisch auf Amazon reagieren und jede Medaille immer zwei Seiten hat. Die Entscheidung für das zweite Amazon-Hauptquartier wird erst 2018 fallen und wenn es so weit ist, werden irgendwo ordentlich die Korken knallen. Doch ob es sich wirklich gelohnt hat, sich Amazon in die eigene Heimat zu holen, wird man erst in ein paar Jahren sehen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt.