Bis 2014 wuchs der E-Commerce in Russland wahnsinnig stark, doch die Wirtschaftskrise und der einbrechende Rubel sorgten für ein jähes Ende des Wachstums. Vom Überlebenskampf der einheimischen Händler profitieren wiederum vor allem chinesische Anbieter.

Russische Flagge

(Bildquelle Russische Flagge: Dmitrii Shirinkin via Shutterstock)

Was für ein Boom im E-Commerce: Wachstumsraten von über 30 Prozent waren in Russland bis 2014 die Regel. Um 31 Prozent stieg der Umsatz noch vor 2 Jahren, wie die Zahlen von Ecommerce Europe belegen. Doch die goldenen Zeiten fanden ein Jahr später ein schnelles Ende. 2015 wuchs der Markt gerade noch um etwas mehr als 6 Prozent, für das laufende Jahr werden nur 5,3 Prozent prognostiziert. Ein derartiger Einbruch ist im europäischen Vergleich beispiellos, die Gründe liegen aber auf der Hand: Russland kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise, der Rubel hat massiv an Wert verloren.

Mit umgerechnet 20,5 Milliarden Euro Umsatz ist der russische der mit Abstand größte Online-Markt in Osteuropa. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt liegt bei knapp 2 Prozent, ein Viertel der russischen Bevölkerung shoppt online (etwa 30 Millionen Nutzer), jeder bezahlt durchschnittlich etwa 685 Euro pro Jahr im Internet. Der Mobile-Anteil liegt bei ausbaufähigen 15 Prozent. Für eine große Volkswirtschaft sind das alles vergleichsweise geringe Zahlen, die aber umgekehrt ein riesiges Wachstumspotenzial bedeuten. Dieses kann nur derzeit nicht annähernd ausgeschöpft werden.

Russland E-Commerce Report Umsatz

© Ecommerce Foundation

Big Player machen dicht

Das hat dazu geführt, dass sich die E-Commerce-Landschaft in Russland gerade sehr verändert. Einer der bekanntesten Online-Marktplätze, Molotok.ru, musste im vergangenen Jahr die Segel streichen. Mamagazin.ru, ein Anbieter für Kindersachen, hat den Betrieb vorübergehend eingestellt, will aber immerhin bald wieder ans Netz gehen. Vasko.ru, Sotmarket.ru, Utinet.ru, Enter.ru – sie alle müssen kämpfen oder haben bereits aufgegeben. Die Namen mögen vielleicht fremd wirken, doch gehör(t)en sie in Russland zu den größten Anbietern. Man stelle sich vor, bei uns würden innerhalb weniger Monate Zooplus, Redcoon, Thomann und vielleicht sogar noch Zalando ums Überleben kämpfen oder ganz schließen müssen, dann bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich der russische Markt gerade wandelt.

Hoffnungsschimmer: Cross-Border wächst

Wenn es auch insgesamt nicht rosig aussieht, so gibt es doch einen Aspekt, der sich von den Problemen weitgehend unbeeindruckt zeigt: Der grenzüberschreifende Online-Handel. Dieser ist allerdings wiederum ein zweischneidiges Schwert. Über 3 Milliarden Euro wurden 2015 mit Käufen im Ausland umgesetzt, der Großteil davon einzig und allein in China. 80 Prozent aller Cross-Border-Geschäfte laufen über chinesische Händler. Der größte Profiteur ist dabei AliExpress.com. Das Alibaba-Unternehmen war zum Beispiel im Juli 2014 die am meisten besuchte E-Commerce-Seite in Russland – als ausländischer Anbieter! Eine Anfang des Jahres gestartete chinesisch-russische E-Commerce-Plattform wird die Position Chinas im russischen E-Commerce weiter stärken, auch wenn es dabei vornehmlich um den Export aus Russland nach China geht.

Russland E-Commerce Report Cross-Border

© Ecommerce Foundation

Und die Händler aus dem Westen, aus Deutschland, Großbritannien und den USA? Für die findet sich in Russland derzeit kaum Kundschaft, denn die Preise sind aufgrund des schwachen Rubels einfach zu hoch. Während russische Online-Shopper in China nicht nur günstig einkaufen können, sondern die Lieferzeiten aufgrund der vergleichsweise geringen Entfernung auch entsprechend kurz ausfallen, müssen sie für Einkäufe in westlichen Ländern tief in die Tasche greifen und lange auf ihre Bestellung warten. Erst wenn die Wirtschaft aus dem Gröbsten heraus ist und der Rubel wieder angezogen hat, wird sich hier eine gewisse Entspannung einstellen.

Wachstum in abgelegen Regionen

In den E-Commerce-Wachstumsraten lässt sich ein starkes Gefälle beobachten. Große Ballungsräume wie Moskau oder St. Petersburg können kaum zulegen, doch kleinere Städte und die abgelegenen Regionen vor allem im Osten des Landes sorgen durchaus für Umsatzzuwächse. Kein Wunder, schließlich bildet der Einkauf im Internet in vielen Gebieten die einzige Möglichkeit, an bestimmte Waren zu kommen. Auch hier spielt der Cross-Border-Handel eine Rolle. Auslandseinkäufe sind auch deshalb so beliebt, weil man so an Waren kommt, die es in Russland nicht oder nur sehr schwer zu erwerben gibt.

Die Lage im russischen E-Commerce bleibt mittelfristig spannend. Erst wenn sich die Wirtschaft insgesamt halbwegs erholt hat, werden auch die Wachstumsraten wieder steigen. Dann könnte es aber wiederum stark und schnell nach oben gehen. Denn das Potenzial ist da. Internet-Durchdringung, Smartphone-Sättigung, eWallet-Akzeptanz – das alles steckt, gerade wenn man es mit mittel- oder nordeuropäischen Ländern vergleicht, fast noch in den Kinderschuhen. Mit steigender Digitalisierung und genügend wirtschaftlicher Potenz wird der russische Online-Handel in Zukunft eine gewichtige Rolle spielen. Die Frage ist nur, wie lang dies dauern wird.


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