Die Diskussionen über die Retourenpraxis vor allem im Online-Modehandel sind nicht neu, nicht zuletzt deshalb wurden im vergangenen Jahr Obhutspflichten für Händler im Kreislaufwirtschaftsgesetz festgeschrieben. Zalando sieht sich diesbezüglich allerdings aktuell mit einem Vorwurf von Greenwashing und Verbrauchertäuschung konfrontiert. Das Unternehmen soll sich ein grüneres Image gegeben haben, als es in Prozessen und Aktivitäten tatsächlich gelebt werde. Dies geht aus einer umfassenden Untersuchung des Investigativ-Formats Vollbild vom SWR, der Zeit sowie der Recherche-Plattform Flip hervor. 

Zalando gilt mit etwa 50 Millionen Kundinnen und Kunden als größter Online-Modehändler in Europa, 2021 gingen etwa 250 Millionen Bestellungen ein. Bestellte Artikel können kostenlos wieder zurückgesendet werden – das gehöre, wie auch bei vielen anderen E-Commerce-Anbietern, vom ersten Tag an zum Service. Dieses Angebot wird wahrgenommen: Die Hälfte der online georderten Kleidungsstücke wird retourniert. 

Fraglich sei nun der Umgang mit derlei Rücksendungen: So heißt es auf einer Informationsseite der Shopping-Plattform: „97 Prozent dieser retournierten Modeartikel werden nach entsprechender Prüfung sowie sorgfältiger Aufarbeitung wieder über den Zalando Shop verkauft.“ Der Weiterverkauf erfolge auch in der Zalando Lounge und in Outlets, ebenso seien Spenden von Restposten an Organisationen üblich. Nur ein sehr geringer Teil (0,05 Prozent) müsse aus gesundheitlichen Gründen vernichtet werden. Seit über drei Jahren verfolgt das Unternehmen zudem die Vision, „eine nachhaltige Mode-Plattform mit einer netto-positiven Auswirkung auf Mensch und Erde“ zu werden. Wunsch und Wirklichkeit gehen scheinbar auseinander: Die online bestellte und anschließend retournierte Waren würde – anders als behauptet – nicht nachhaltig abgewickelt, teils lange Wege zurücklegen bzw. nicht in der angegebenen Menge wieder im Online-Shop weiterverkauft, so die Ergebnisse der Investigativjournalistinnen und -journalisten.

Retouren quer durch Europa unterwegs 

In einem Feldversuch wurden zehn Kleidungsstücke auf dem Zalando-Marktplatz aus unterschiedlichen Kategorien bestellt, in die dann, mithilfe technischer Unterstützung von Greenpeace, GPS-Tracker eingesetzt sowie ein Hinweis auf die Recherche mit eingenäht wurden. Anschließend hat man die bestellten Artikel bei dem Online-Händler retourniert. 

Über mehrere Monate hinweg verfolgte das Team den Weg der Waren und sprach darüber hinaus mit Angestellten der Retourenzentren sowie Partnerfirmen von Zalando. „Die Kleidungsstücke reisen kreuz und quer durch Europa“, lautet ein Fazit der Recherche. Einige Waren seien mindestens 7.000 Kilometer weit transportiert worden, bevor der Akku des GPS-Trackers nachließ. „Insgesamt waren die zehn Kleidungsstücke, die wir retourniert haben, 28.822 Kilometer unterwegs.“ 

Lange Transportwege – wie ist das möglich? 

Zalando nahm zu den Recherchen umfangreich Stellung, das Statement liegt OnlinehändlerNews vor. Darin wird erklärt, wie die langen Strecken zustande kommen können: Zurückgesandte Waren werden in spezialisierte und absatzmarktnahe Retourenzentren gebracht. Davon gibt es europaweit über 20, etwa in Manchester, Münster und Tallinn. Dort könne man „retournierte Artikel möglichst schnell und ortsnah bearbeiten, rückerstatten und wieder in den Verkauf bringen.“ Die Rücksendungen würden im Anschluss aber nicht direkt aus den Retourenzentren versendet, sondern gebündelt in eines der zwölf hauseigenen Logistikzentren gebracht, die sich u. a. in Madrid, Erfurt und Bydgoszcz befinden.

Wohin genau die Waren letztlich transportiert, wo sie eingelagert und von wo aus sie anschließend wieder an die Kundschaft verschickt werden, entscheide sich etwa danach, wie wahrscheinlich ein Wiederverkauf in der Region des entsprechenden Standortes bzw. Marktes sei. „Es kann daher vorkommen, dass ein retournierter Artikel vergleichsweise längere Strecken zurücklegt, um den Wiederverkauf und somit die weitere Nutzung zu ermöglichen: Das erklärt auch die beobachteten Transportwege der nachverfolgten Artikel.“  

Zalando bekräftigte in einem Hintergrundgespräch mit unserer Redaktion, dass man stets daran interessiert sei, die Transportwege kurz und Lagerkosten gering zu halten. Dass man „Lkw als Lagerräume“ nutze, wie etwa vonseiten des Retouren-Forschers Björn Asdecker von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg angenommen wurde, wies das Unternehmen zurück. Dies würde den eigenen wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen – jeder gefahrene Kilometer koste Geld und man habe durch das europaweite Logistiknetzwerk ausreichend Lagerkapazitäten. 

Hohe Retourenquote und Wiederverkaufsraten in der Modebranche üblich

Die Vorwürfe gegen Zalando führen erneut zu Grundsatzfragen zu Umfang und Abwicklung von Retouren in der Modebranche. Der einen oder dem anderen mag etwa die hohe Quote der Retouren aufgefallen sein, diese ist jedoch üblich. Bei Zalando habe sie sich in den letzten Jahren auch trotz der zunehmenden Bestellmengen – 2018 waren es rund 116 Millionen Bestellungen, 2021 dann wie bereits genannt 250 Millionen – kaum verändert. „Der Online-Handel kämpft schon lange mit den hohen Retourenquoten in Deutschland, in dieser Hinsicht sind die für Zalando genannten Zahlen nicht ungewöhnlich“, bestätigt Dr. Peter Rinnebach, Managing Director bei der Strategieberatung Accenture und Experte für Handelsunternehmen. „Retourenquoten von 40 bis 50 Prozent sind in Deutschland bei vielen Händlern üblich, in anderen Ländern liegen die Retourenquoten teilweise deutlich niedriger, aber Kunden in Deutschland sind an die Freiheit kostenloser Retouren gewöhnt.“ Absolut dürfte die Zahl der Retouren angesichts von mehr Bestellungen aber natürlich gewachsen sein.

Eine hohe Anzahl an Produkten, die wieder in den Verkauf gelangen, sei der Experteneinschätzung zufolge aber trotz allem möglich: „97 Prozent der Retouren wieder in den Verkauf zu geben, ist ambitioniert, aber erreichbar, wenn man dabei berücksichtigt, dass das nicht alles wieder zum Full-Price als Neuware verkauft wird. Ein Teil wird als Outlet-Ware oder Abverkauf von Resten vermarktet werden.“ 

Diese Werte bestätigte etwa auch die Otto Group auf unsere Anfrage. Dort werden – allerdings über das gesamte Sortiment hinweg – ebenfalls bis zu 97 Prozent der Waren nach einer Prüfung direkt wieder dem Verkauf zugeführt. „Lediglich 3 Prozent der retournierten Ware kann nicht sofort wieder in den Verkauf, sondern muss zuvor aufbereitet werden. Von den genannten 3 Prozent können 80 bis 85 Prozent optisch wieder aufbereitet werden (z. B. Entfernen von Fingerspuren an TV-Bildschirmen, Reinigen, Bügeln etc.) und gehen nach Durchlauf in der Wäscherei/Reinigung wieder zum Verkauf ins Lager zurück. Lediglich 15 bis 20 Prozent der genannten 3 Prozent gehen in den Drittverkauf an verlässliche Partner und werden dort zu einem geringeren Preis verkauft“, erläutert der Handelskonzern. 

Rund 800 Zalando-Händler organisieren Retouren selbst

Nicht alle Retouren bei Zalando sind aber auch tatsächlich in dieser Rückverkaufsstatistik einkalkuliert. Neben dem eigenen Wholesale-Geschäft, bei dem man selbst Artikel ein- und weiterverkaufe, vertreiben auch 1.600 Partnerfirmen ihre Waren auf dem Marktplatz, sie erwirtschaften rund ein Drittel des Bruttowarenvolumens. 

Davon lasse nun lediglich die Hälfte ihre Retouren über den hauseigenen Service Zalando Logistics Solutions abwickeln, alle anderen organisieren den Verbleib der zurückgeschickten Waren selbst und verkaufen sie teils über andere Kanäle weiter. Die Retouren dieser Handelspartner sind bei den 97 Prozent, die Zalando wieder weiterverkauft, aber nicht eingeschlossen: „Diese Zahl bezieht alle Rücksendungen ein, die in unseren Retourenzentren bearbeitet werden“, stellte das Unternehmen anlässlich der Rechercheergebnisse klar. Mit diesem Vorgehen ist Zalando in der Branche nicht allein. Auch bei der Otto Group gilt die angegebene Prozentzahl für jene retournierte Waren, „die in Eigen- und Lizenzmarken von uns angeboten oder als Händler von uns vertrieben werden“. 

Händler-Retouren sind nur teilweise in CO₂-Kompensation einkalkuliert

Der Nachhaltigkeitsaspekt lässt sich deshalb aber nicht ausblenden. Auch wenn das Ziel, eine derart hohe Menge an Retouren wieder zu verkaufen, ein positives sei, dürfe „dabei nicht übersehen werden, dass dies nicht hilft, um die negativen Nachhaltigkeitseffekte durch den mehrfachen Versand und die Rücksendung der Retouren zu vermeiden“, merkt der Handelsberater Rinnebach an. „Die CO₂-Bilanz aus logistischer Sicht bleibt für diese Retouren nach wie vor negativ.“ 

Zalando testet u. a. mit den KEP-Dienstleistern und Transportfirmen bereits Möglichkeiten der CO₂-Reduktion, etwa bei Zustellungen. Da dies aber nicht überall möglich ist, werden Emissionen auch durch Zahlungen kompensiert. Das Unternehmen verpflichtete sich 2019, in diesem Bereich klimaneutral zu sein. Das Recherche-Team fand auch hier jedoch Unstimmigkeiten. Auch an dieser Stelle fehlen die Retouren der 800 Marktplatzpartner. „Werden die Retouren innerhalb der Logistikprozesse von Marktplatz-Partnern bearbeitet, werden sie nicht bei der CO₂-Kompensation berücksichtigt“, räumte das Unternehmen anschließend ein. 

Zalando dementiert Täuschung der Kundschaft

Eine Täuschung der Kundschaft wolle sich Zalando unterm Strich aber nicht vorwerfen lassen. Man erfülle „die Obhutspflicht gemäß des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) vollumfänglich“, heißt es in der Stellungnahme.  Grundsätzlich stellte das Unternehmen klar, dass man bereits schlicht aus wirtschaftlicher Sicht daran interessiert sei, retournierte Waren wieder anzubieten: „Uns ist wichtig, dass jeder Artikel eine Chance auf eine Wiederverwendung findet, denn: Die Vernichtung von Waren und Retouren entbehrt nicht nur jeder kaufmännischen Logik, sondern widerspricht insbesondere auch unserem Verständnis von nachhaltigem Wirtschaften.“ 

Zusammenarbeit mit Großhändlern nicht transparent

Stellen müsse man sich allerdings der Tatsache, dass sich einige Informationen zum Verbleib von Retouren derzeit nicht auf den Webseiten des Unternehmens finden. So blieb dort beispielsweise unerwähnt, dass retournierte Waren beim Großhandel landen, was das Investigativ-Team ebenfalls nachwies. Michael Braungart, der wissenschaftliche Leiter des Hamburger Umweltinstituts, erläuterte im Zuge der Zeit-Recherche, dass solche über den Großhandel veräußerte Waren „oft Tausende Kilometer nach Afrika oder Asien“ reisen würden. Dort fehle es dann an Entsorgungsstrukturen, die Kleidung lande oftmals in der Umwelt – und verschärft das Müllproblem. Die Zahl der aus der EU exportierten gebrauchten Textilien sei laut einem aktuellen Bericht der Umweltagentur EEA alarmierend hoch, sie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdreifacht. Dabei soll es sich größtenteils um ausgemusterte und gespendete Kleidung handeln, wie beim ZDF zu lesen ist

Zalando stellte in diesem Zusammenhang klar, dass man ausschließlich mit ausgewählten Partnern zusammenarbeite, deren Hauptsitz sich jeweils innerhalb der EU befinde „und diese somit auch an geltendes Recht gebunden sind“. Ob man auf solche Aspekte künftig hinweist, werde nun abgewogen: „Wir werden die Anregung intern diskutieren und prüfen, ob und inwiefern es sich bei der Zusammenarbeit mit Großhändlern um eine Information handelt, die zukünftig in diesem Detailgrad auch für unsere Corporate Website interessant ist.“ 

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Sorgloses Online-Shopping?  

Zalando mache „seinen Kunden große Versprechen und suggeriert, dass sorgloses Shoppen in Zeiten des Klimawandels möglich sei“, lautet ein deutliches Statement der  Journalistinnen und Journalisten, die damit auch gehörig Salz in eine Wunde der gesamten Branche streuen. Eine Abschaffung der aktuellen Retourenpraxis dürfte im E-Commerce jedoch schwerlich denkbar sein. „Für Onlinehändler gehören Retouren zum Geschäftsmodell. Ebenso wie im stationären Handel haben die Kund*innen auch im Onlinehandel gerade bei Textilien die Möglichkeit, die erworbenen Kleidungsstücke anzuprobieren und bei Nichtgefallen zurückzugeben“, betont etwa auch die Otto Group im Zusammenhang mit unserer Anfrage. Doch es gebe eben auch „langjährige Erfahrung mit Retouren, die wir hocheffizient und ressourcenschonend bearbeiten“. 

Eine Lösung, um die kostspieligen Retouren tatsächlich zu reduzieren und so zu echter Nachhaltigkeit beizutragen, ist deren Vermeidung. Dr. Peter Rinnebach von Accenture hebt dabei vor allem das Potenzial von optimierter Kaufberatung hervor: „Um dem Retouren-Problem des Modehandels wirklich beizukommen, muss bei den Kunden angesetzt werden. Das schließt zum Beispiel die bessere Information bei der Produktauswahl, z.B. in Bezug auf Größen, ein. Digital-Avatar-Fitting ist ein Stichwort in diesem Kontext.“ Auch Zalando ist bewusst, dass eine optimale Größenberatung den größten Einfluss auf eine Senkung der Retourenquote hat: Rund ein Drittel der Kleidung wird deshalb zurückgesendet, weil sie nicht passt. Neben umfangreichem Text-, Bild- und Videomaterial lässt das Unternehmen deshalb auch individuelles Kundenfeedback einfließen und gibt im persönlichen Account Größenempfehlungen zu bestimmten Artikeln, zudem wird an einer virtuellen Umkleide via App gearbeitet.

Auch die Online-Kundschaft muss ihren Teil beitragen

Für Verbraucherinnen und Verbraucher sollten laut Rinnebach aber auch die Anreize für eine Rückgabe verändert werden. „Die Entwicklung hin zu bezahlten Retouren zielt in diese Richtung“, meint er. Davon nimmt Zalando jedoch, ähnlich wie beispielsweise auch Otto nach einer umfassenden Marktanalyse zu den Kundenwünschen, Abstand.  

Dem Handelsexperten zufolge bleibe unabhängig davon aber auch zu hoffen, „dass auch Nachhaltigkeitsüberlegungen bei Kunden dazu beitragen, das Retourenverhalten anzupassen.“ Was bei all dem nicht vergessen werden darf: Die Modeindustrie erzeugt etwa acht bis zehn Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und ist für 20 Prozent der Industrieabwässer-Verschmutzung weltweit verantwortlich. Dass eine große Transparenz und ehrliche Kommunikation rund um eine tatsächlich nachhaltige Abwicklung von Rücksendung für ein nachhaltiges Konsumverhalten eine wesentliche notwendige Voraussetzung darstellen, dürfte unstrittig sein. 

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