Endlich sind die Verbraucher:innen wieder verstärkt in Shoppinglaune. Doch schaut man sich den Erfolg chinesischer Plattformen wie Temu und Shein an, liegt die Vermutung nahe, dass hierfür vor allem deren verboten günstige Preise verantwortlich sind. Preise, die nicht nur hiesige Marktplätze bedrohen.

Doch welchen Einfluss haben günstige Produkte aus Fernost eigentlich auf die Re-Commerce-Branche? Eine Branche, die mit der Wiederaufbereitung von Geräten nicht nur für technische Qualität, sondern auch Nachhaltigkeit, und damit im starken Kontrast zu den chinesischen Wettbewerbern steht. Wirtschaftlich gesehen scheint der Einfluss eher gering, sagt Dr. Philipp Gattner, CEO der Re-Commerce-Plattform Rebuy. Warum er den Aufstieg der chinesischen Billiganbieter dennoch mit Sorge sieht, verrät er im Interview mit OnlinehändlerNews.

Die Kombination aus Nachhaltigkeit und Preis überzeugt unsere Kundschaft

OnlinehändlerNews: Könnten Sie einen kurzen Überblick über die aktuelle Marktstellung von Rebuy geben und wie sich das Unternehmen in den letzten Jahren entwickelt hat?

Dr. Philipp Gattner: Wir haben uns seit unserer Gründung 2004 zu einem der führenden Recommerce-Unternehmen in Europa entwickelt. Unsere Reise begann mit dem Handel gebrauchter Computer- und Konsolenspiele, aber heute sind wir vor allem für den An- und Verkauf von Unterhaltungselektronik (bspw. Smartphones, Tablets, Macbooks, Konsolen) und Medien (v. a. Bücher) bekannt.

Im vergangenen Jahr haben rund 10 Millionen gebrauchte Artikel über unsere Plattform neue Besitzer gefunden, darunter über 500.000 Geräte der Unterhaltungselektronik. Davon wurden über 300.000 Geräte wiederaufbereitet, also von kleineren Mängeln befreit. Im Jahr 2023 konnten wir durch die Verlängerung der Produktlebensdauer mehr als 200 Tonnen Elektroschrott und über neun Milliarden Liter Wasser einsparen.

Insgesamt erzielten wir 2023 einen Umsatz von 216 Millionen Euro und sind bereits im fünften Jahr profitabel. Mit unseren rund 650 Mitarbeitenden sind wir inzwischen in sechs Ländern aktiv. Ein wesentlicher Faktor für unseren Erfolg ist sicherlich die steigende Nachfrage nach hochwertigen gebrauchten Produkten. Die Kombination aus niedrigen Preisen und Nachhaltigkeit ist einfach überzeugend. Gleichzeitig erleichtern wir mit unseren professionalisierten Prozessen den Handel mit gebrauchten Artikeln massiv. Wir bieten ein sehr gutes Kundenerlebnis, was zu vielen Weiterempfehlungen führt.  

Secondhand-Markt hat anhaltendes Wachstumspotenzial

Wie schätzen Sie die derzeitige Lage im E-Commerce ein, insbesondere im Bereich des Re-Commerce?

Ein Blick auf das erste Halbjahr zeigt, dass der E-Commerce weiterhin unter Druck steht und seine Wachstumsziele nicht erreicht. Das Konsumklima bei Neugeräten ist weiterhin schlecht. Im Gegensatz dazu sehen wir im Re-Commerce anhaltendes Wachstumspotenzial. Eine aktuelle Studie von Markntel Advisors prognostiziert für den europäischen Re-Commerce-Markt ein durchschnittliches jährliches Wachstum von etwa 10,8 Prozent zwischen 2024 und 2030.

Diesen Trend sehen wir auch in unserem Geschäft, wo wir trotz der allgemeinen Marktschwäche ein stetiges Wachstum verzeichnen. Ein weiteres positives Signal für den Re-Commerce-Markt sehen wir aktuell auf politischer Ebene. Das vom EU-Parlament beschlossene „Recht auf Reparatur“ könnte den Markt für gebrauchte und reparierte Produkte weiter stärken. Ein reparaturfreundliches Design und der sichere Zugang zu günstigen Ersatzteilen sind wichtige Hebel für die Förderung der Kreislaufwirtschaft. Maßnahmen wie diese verlängern die Lebensdauer von Produkten und steigern die Akzeptanz von Secondhand-Ware.

Verantwortungsvoller Konsum sollte Norm sein, nicht die Ausnahme

Die Konkurrenz durch chinesische Anbieter, wie Temu, Wish und Aliexpress, ist derzeit allgegenwärtig. Wie wirkt sich diese Konkurrenz auf das Geschäft von Rebuy aus?

Dr. Philipp Gattner / Rebuy Das wirtschaftliche Wachstum von Anbietern wie Temu ist zweifellos beeindruckend. Diese Plattformen haben es geschafft, in kürzester Zeit eine enorme Reichweite und Popularität zu erlangen, was auf ihre aggressive Preispolitik und das breite Produktangebot zurückzuführen ist.

Aus Sicht von Rebuy sehen wir diese Entwicklung allerdings relativ gelassen. Unser Geschäftsmodell unterscheidet sich grundlegend. Wir konzentrieren uns auf den Handel mit gebrauchten, hochwertigen Markenprodukten, insbesondere im Bereich der Unterhaltungselektronik

Als Vater von zwei Kindern beobachte ich den Aufstieg von Temu und Co. aber durchaus auch mit Sorge, besonders aus Nachhaltigkeitsperspektive. In den letzten zwei Jahrzehnten haben wir als Gesellschaft zunehmend erkannt, wie wichtig es ist, unseren Konsum nachhaltiger zu gestalten – eine Einsicht, die auch zur Gründung von Rebuy vor 20 Jahren führte.

Wenn ich jetzt beobachte, wie sehr günstige Konsumgüter unsere Märkte überfluten und diese auch noch per Flugzeug verschickt werden, sehe ich darin einen klaren Widerspruch zu allem, was nachhaltigen Konsum ausmacht. Als Vater fühle ich mich verpflichtet, meinen Kindern eine Welt zu hinterlassen, in der verantwortungsvoller Konsum die Norm ist, nicht die Ausnahme.

Besteht eine Gefahr für den Handel mit refurbished Produkten durch diese starke Präsenz extrem günstiger Neuprodukte?

Für unser Kerngeschäft bei Rebuy und generell für die Refurbishment-Branche sehen wir durch Plattformen wie Temu keine unmittelbare Gefahr. Dennoch dürfen wir diese Entwicklung als Gesellschaft nicht unterschätzen. Es wird entscheidend sein, den Markt genau zu beobachten und gegebenenfalls regulatorische Anpassungen vorzunehmen. Ziel muss es sein, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und gleichzeitig unsere gesellschaftlichen Werte zu schützen.

Ein besonderes Augenmerk sollten die EU und die deutschen Behörden auf den Import von Produkten legen, die nicht den europäischen Sicherheitsstandards entsprechen – also kein CE-Zeichen aufweisen. Solche Geräte sind oft für Reparaturen und den Wiederverkauf ungeeignet, was dem Grundgedanken der Kreislaufwirtschaft widerspricht. Sie bergen darüber hinaus häufig extreme Sicherheitsrisiken.

„Wir wollen noch mehr Menschen von nachhaltigem Konsum überzeugen“

Welche Strategien verfolgt Rebuy, um sich gegen die Konkurrenz aus China zu behaupten?

Wie gesagt, konzentrieren wir uns seit Jahren auf den Handel und die Aufbereitung hochwertiger Markenprodukte. Unsere Kund:innen schätzen dabei vor allem drei Dinge. Erstens, die Preisersparnis gegenüber Neuware. Zweitens, die extrem hohe Qualität: Sämtliche bei uns verkauften Produkte werden vorher in unseren Logistikstandorten auf Herz und Nieren geprüft. Dabei sind neben geschulten Technik-Experten, zunehmend auch Roboter im Einsatz. iPhones werden inzwischen fast ausschließlich von Robotern, sowohl technisch als auch optisch getestet. Aufgrund der ausführlichen Prüfung geben wir am Ende 3 Jahre Garantie auf alle elektronischen Geräte. Und drittens, die Nachhaltigkeit: die Menge an Elektroschrott, die wir jährlich verhindern, indem wir gebrauchten Elektronikprodukten ein zweites Leben geben.

Der Erfolg von Unternehmen wie Temu, die nach gegensätzlichen Prinzipien operieren, ist für uns ein Ansporn, unsere Bemühungen weiter zu intensivieren. Wir wollen noch mehr Menschen von den Vorteilen unseres Angebots überzeugen. Daher arbeiten wir kontinuierlich an der Verbesserung unserer Dienstleistungen und stärken das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum in der breiten Öffentlichkeit.

Lässt sich China-Ware reparieren?

Bieten Sie weiterhin nur Produkte großer Marken oder wäre es auch eine Option, das Refurbishment und den Verkauf von Waren chinesischer Anbieter einzuführen? Gibt es hierfür einen Markt?

Wir konzentrieren uns weiterhin auf hochwertige, CE-zertifizierte Produkte renommierter Marken. Das Refurbishment und der Verkauf von Waren chinesischer Anbieter ohne CE-Zertifizierung kommt für uns nicht in Frage. Unser Fokus liegt auf Qualität und Nachhaltigkeit. Zudem setzen wir uns dafür ein, dass in Zukunft grundsätzlich nur CE-zertifizierte Geräte im Umlauf sind.

Allerdings kann ich mir gut vorstellen, unsere Produktpalette perspektivisch zu erweitern. Konkret würden sich beispielsweise hochwertige Geräte für Haushalt und Küche sehr gut eignen. Geräte wie der Thermomix oder Dyson-Staubsauger passen gut zu unserem Produktprofil und unserer Strategie, auf Qualität und Nachhaltigkeit zu setzen. So könnten wir noch mehr Kunden ansprechen, die auf der Suche nach nachhaltigen und hochwertigen Alternativen zu Neugeräten sind.

Gemeinschaftlicher Einfluss auf die Politik

Wie wichtig sind Partnerschaften und Netzwerke in der Branche, um gemeinsam gegen den Druck aus Asien zu bestehen?

Als Mitglied von EUREFAS (European Repair and Refurbishment Association) sehen wir die große Bedeutung solcher Zusammenschlüsse. Die kürzlich erzielte Einigung zur Gesetzgebung über das Recht auf Reparatur ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was wir durch gemeinsames Engagement erreichen können.

Obwohl kein direkter Druck aus Asien auf unsere spezifische Branche besteht, sehen wir uns dennoch mit indirekten Herausforderungen konfrontiert. Es sollte unbedingt verhindert werden, dass Europa mit billiger Neuware überflutet wird, die nicht unseren Sicherheits- und Qualitätsstandards entspricht. Hier sehen wir vor allem die Politik in der Verantwortung. Über EUREFAS können wir aktiv Druck auf die Politik ausüben und sicherstellen, dass unsere gemeinsamen Interessen vertreten werden.

Vielen Dank für das Gespräch!