Im vergangenen Jahr gingen über 5.600 Anfragen im Zusammenhang mit einem vom  Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Diskriminierungsmerkmal bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein – im letzten Jahr war der Anteil noch höher, doch es ist noch immer das zweithöchste Ergebnis seit dem Erhebungsbeginn vor 16 Jahren. Allein 37 Prozent der registrierten Fälle bezogen sich auf Rassismus – was somit die häufigste Form der Diskriminierungen darstellte. Die meisten Erfahrungen mit Diskriminierung im Allgemeinen traten mit 28 Prozent im Arbeitsleben auf, teilte die Behörde anlässlich ihres im Sommer veröffentlichten Jahresberichts mit. 

Diese Ergebnisse lassen bereits erahnen, dass der Unternehmenskultur im Zusammenhang mit Diskriminierungserfahrungen eine wesentliche Rolle zukommt. Deutlicher wird das mit Blick auf Vorwürfe an große Firmen, die Rassismen nicht unterbunden oder gar unterstützt hätten – so geschehen etwa hierzulande bei Zalando. Doch auch Amazon, Google, Meta, Apple und andere Firmen werden immer mal wieder mit solchen Beschuldigungen konfrontiert. Gleichsam ist bei vielen (u. a. den betroffenen) Unternehmen, gerade auch im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung, aber von verschiedenen Maßnahmen zu hören, mit denen sich verstärkt für die Themen Diversität und Inklusion eingesetzt wird. Im Zuge dessen heißt es oftmals, dass man Mitarbeitende sensibilisieren und aufklären will. 

Doch wie genau sieht so etwas in der Praxis aus? Auch das Unternehmen HubSpot, eine Plattform für Inbound-Marketing, Sales, CRM und Kundenservice, hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, wie sie Rassismus in der eigenen Firma bekämpfen können. Unter anderem wurden deshalb im Jahr 2020 obligatorische Schulungen für die rund 7.000 Angestellten eingeführt. Louisa Proctor, Global Director of Learning & Development bei HubSpot, hat diese Antirassismus-Trainings mitentwickelt. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, warum und wie das Programm umgesetzt wurde, welche Inhalte kommuniziert wurden und inwieweit all das letztlich Einfluss auf die eigene Firmenkultur hat.

Engagement gegen Rassismus: „Wir waren hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben“

OnlinehändlerNews: HubSpot hat ein Antirassismus-Schulungsprogramm erarbeitet und eingeführt. Hat HubSpots Unternehmensführung damit von sich aus auf das gesellschaftliche Problem Rassismus reagiert? Oder gab es von Angestellten im Unternehmen eine intrinsische Motivation beziehungsweise auch Vorfälle, sodass die Verantwortlichen akuten Handlungsbedarf gesehen haben?

Louisa Proctor: Wir arbeiten bereits seit 2016 an Diversität, Inklusion und Zugehörigkeit bei HubSpot. In jenem Jahr haben wir auch zum ersten Mal den Diversity, Inclusion, & Belonging (DI&B) Report veröffentlicht, der seitdem jedes Jahr erscheint. Darin zeigen wir nicht nur die demografischen Daten des Teams, Trends in den Mitarbeiterdaten und Selbstauskunftskategorien, sondern werten auch unsere aktuellen DI&B-Aktivitäten aus. 

Der Anstoß, ein verpflichtendes Antirassismus-Training einzuführen, kam im Jahr 2020 mit dem Wiederaufleben der Black-Lives-Matter-Bewegung. Wir haben uns selbst den Spiegel vorgehalten und gemerkt, dass wir hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben sind und es nicht geschafft hatten, sinnvolle Veränderungen herbeizuführen. Zwar hat die Black-Lives-Matter-Bewegung ihren Ursprung in den USA, aber Rassismus ist überall verbreitet, auch in Deutschland. Ich habe gelesen, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes allein im vergangenen Jahr mehr als 5.000 Fälle gezählt hat und dass dies der zweithöchste Wert seit ihrer Gründung im Jahr 2006 ist. Das ist erschreckend. 

Wir haben uns damals also gefragt, welche Rolle HubSpot beim Aufbau einer integrativeren und gerechteren Welt für unsere Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden, Partnerunternehmen und Communitys spielen sollte. Deshalb haben wir unsere Schwarzen Mitarbeitenden um Feedback gebeten, in welchen Bereichen wir uns verbessern müssen. Wir wollten aktiv werden und nicht nur darüber reden. Daraus ist dann ein Plan mit konkreten Maßnahmen entstanden.

Als Teil unseres Engagements für Black-Lives-Matter und die Bekämpfung von systemischem Rassismus in unserem eigenen Unternehmen und unseren Communitys haben wir dann im November 2020 zwei neue Kurse eingeführt. Diese sollen Mitarbeitenden bei HubSpot dabei helfen, gemeinsam Maßnahmen zu ergreifen, um Rassismus und Vorurteile in unserer Kultur zu mindern. Ursprünglich hatten wir nur eine Schulung für alle Mitarbeitenden geplant, aber aufgrund des Feedbacks unserer BIPoC-Mitarbeitenden [selbsgewählte Bezeichnung für Black, Indigenous, People of Color, Anm. d. Red.] haben wir eine zusätzliche Schulung für Managerinnen und Manager ergänzt. Dieser Kurs beinhaltet eine Selbsteinschätzung zu antirassistischen Verhaltensweisen. Die Teilnehmenden lernen, wie sie Vorurteile vermeiden können. Dies ist unglaublich wichtig, weil Managerinnen und Manager eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie Mitarbeitende Inklusion und Zugehörigkeit am Arbeitsplatz erleben. 

Eine gemeinsame Gesprächsbasis für alle schaffen

Sie haben das Angebot mitentwickelt. Was war die Intention? Und wie sehen die Schulungen aus?

Ziel der Schulung ist, den Mitarbeitenden ein umfassendes Verständnis von Rassismus, Antirassismus und antirassistischen Verhaltensweisen zu geben und deutlich zu machen, wie wir uns alle aktiv gegen Rassismus einsetzen und gegenseitig in die Verantwortung nehmen können. Wir wollten den Mitarbeitenden eine gemeinsame Basis geben, wie man über Rassismus und Antirassismus sprechen und denken, vor allem aber handeln kann. Daraus resultieren gegenseitiger Respekt, Teamzusammenhalt, bessere Kollaboration und Produktivität, aber auch Mitarbeiterzufriedenheit.  

Das Antirassismus-Training für alle Mitarbeitenden ist ein 45-minütiger Kurs auf Englisch, da dies unsere Unternehmenssprache ist. Es wird als Selbststudium über unser E-Learning-Tool absolviert. Mittlerweile ist es fester Bestandteil des virtuellen Onboarding-Prozesses und dort im Themencluster „Diversity, Inclusion & Belonging“ verankert. Alle neuen Mitarbeitenden sind dazu angehalten, das Training in den ersten 30 Tagen zu absolvieren.

Auf welche Aspekte haben Sie besonderen Wert gelegt?

Bei der Entwicklung des Trainings war Authentizität unsere absolute Priorität. Um den kreativen Prozess in Gang zu bringen, haben wir mit Freiwilligen aus BLACKhub zusammengearbeitet, einer Mitarbeitergruppe für Schwarze HubSpotter. Zudem haben wir darauf geachtet, Mitarbeitende nicht nur aus den USA, sondern weltweit miteinzubeziehen, um sicherzustellen, dass das Antirassismus-Training weltweit Anklang findet. 

Während des gesamten Erstellungsprozesses haben wir immer wieder Feedback von Schwarzen und nicht-weißen People of Color eingeholt: zu dem Skript, dem verwendeten Bildmaterial, den Voiceovers und der finalen Version. 

Um zu veranschaulichen, dass Rassismus in Unternehmensstrukturen und im Alltag vieler Angestellter existiert, haben wir zudem für das Training Video- und Audioaufnahmen sowie Erlebnisse von BIPoC-Mitarbeitenden genutzt, die gern mitmachen wollten. Sie berichten über ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus, Vorurteilen und Mikroaggressionen, sowohl am Arbeitsplatz als auch außerhalb. Eingesprochen wurden diese Episoden nicht von den betroffenen Personen selbst, sondern von Mitarbeitenden aus dem DI&B-Team sowie anderen Abteilungen, damit ihre Anonymität gewahrt bleibt. 

Das Projekt wurde vom ganzen Unternehmen getragen

Die Trainings sind obligatorisch. Wie wurde das Vorhaben Führungskräften und Mitarbeitenden kommuniziert? 

Als wir das Training im November 2020 eingeführt haben, absolvierten bestehende sowie neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Kurs. Innerhalb von sechs Monaten hatten mehr als zwei Drittel die Schulung abgeschlossen. Um darauf aufmerksam zu machen und dafür zu werben, haben wir vielfältige Möglichkeiten genutzt: in unserem Intranet, über das Führungsteam in Slack und mit Hinweisen an neue Mitarbeitende in der ersten Woche des Onboardings. Managerinnen und Manager haben das Thema auch in ihren Teammeetings angesprochen. 

Die Einführung des Antirassismus-Trainings war deshalb so erfolgreich, weil sie vom ganzen Unternehmen getragen wurde. Beispielsweise ließen wir unsere C-Level-Führungskräfte in Videos am Anfang der Schulung über die Wichtigkeit des Trainings sprechen. Angestellte ab Direktorenebene nahmen frühzeitig an der Schulung teil und hinterließen Bewertungen und Rezensionen im E-Learning-System.

Und wie wurden die Trainings angenommen? 

Seit der Einführung der Schulung im November 2020 wird die Abschlussrate der Schulung quartalsweise über alle Abteilungen hinweg erfasst. 2021 lag sie bei durchschnittlich 87 Prozent. Im ersten Quartal 2022, in dem knapp 1.000 neue Mitarbeitende weltweit bei HubSpot anfingen, lag der Wert bei 91 Prozent. Die Bewertungen und Rezensionen des Kurses waren und sind überwältigend positiv. 

Unsere Mitarbeitenden haben ein echtes Interesse daran, mehr darüber zu erfahren, was wir als Einzelpersonen und als Organisation tun können, um gegen Rassismus vorzugehen und Gerechtigkeit zu fördern. Wir glauben, dass wir es besser machen können, wenn wir mehr darüber wissen und uns weiterbilden.

Rassismus existiert nicht weit weg – sondern im Alltag der Team-Mitglieder

Welche Auswirkungen hatten die Trainings auf das Unternehmen beziehungsweise die Unternehmenskultur? Gab es Veränderungen? Wenn ja, welche? 

Antirassismus ist Teil der zentralen Werte und ein Pfeiler der Unternehmenskultur bei HubSpot. Wir glauben, dass man die beste Version seiner selbst sein muss, um die beste Arbeit zu leisten. Das ist nur möglich, wenn die Mitarbeitenden das Gefühl haben, dass sie im Arbeitsumfeld im Team dazugehören. Alle Mitarbeitenden verdienen es, sich sicher, willkommen und wertgeschätzt zu fühlen für das, was sie sind, was sie glauben und was sie erlebt haben. Rassismus und Voreingenommenheit machen eine inklusive Unternehmenskultur unmöglich. 

Mit dem Antirassismus-Training wollten wir veranschaulichen, dass Rassismus nichts ist, was fernab von uns „da draußen in der Welt“ passiert, sondern auch in Unternehmensstrukturen und im Alltag vieler Angestellter existiert. Während des Kurses lernen die Teilnehmer reale Situationen und Geschichten kennen, die andere Mitarbeitende erlebt haben. Für die Teilnehmer werden die Definitionen von Mikroaggression, weißer Vorherrschaft und dergleichen lebendig. Durch rhetorische Fragen wie „Wie fühlst du dich, wenn du das hörst?“, „Fühlt es sich normal an?“, „Hast du jemals solche Dinge gesagt?” reflektieren die Teilnehmenden ihr eigenes Verhalten. Wir wollen, dass sich die Menschen, die das Training absolvieren, möglichst persönlich angesprochen fühlen und dadurch idealerweise ermutigt werden, auch etwas in ihrem Leben zu ändern. 

Derzeit fühlen sich etwa drei von vier Mitarbeitenden bei HubSpot befähigt, über systemischen Rassismus zu sprechen, und die Hälfte stimmt zu, dass sie mit ihren Vorgesetzten darüber gesprochen hat, wie sich rassistische Ungerechtigkeit auf unsere Arbeit auswirkt. Das Ziel der beiden Antirassismus-Trainings ist, diese Anzahl noch zu erhöhen. 

Das Antirassismus-Training war nie als Einzelmaßnahme angelegt, sondern als wichtige Komponente unseres Black-Lives-Matter-Strategieplans, der beispielsweise auch die Unterstützung unserer Mitarbeitergruppen oder unsere Diversitätsziele umfasst. 2021 sind wir gut vorangekommen. HubSpot wird seit September 2021 von unserer CEO Yamini Rangan geleitet, die indisch-amerikanische Wurzeln hat. Sie leitet jetzt ein Unternehmen, das zu 47 Prozent aus Frauen und nicht-binären Personen besteht. Es gibt vier Frauen auf der Geschäftsleitungsebene und mehr als 50 Prozent auf Managementebene sind Frauen. Zudem ist der Anteil der BIPoC-Mitarbeitenden um neun Prozentpunkte auf 37 Prozent gestiegen. Derzeit hat HubSpot noch nicht genügend BIPoC-Mitarbeitende in Senior-Positionen, daher haben wir seit Ende 2020 ein Black Advisory Board, dem vier globale Führungskräfte angehören, die uns in Bezug auf Markteinführungsstrategie, Rekrutierung und Mitarbeiterbindung beraten.

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Unternehmen haben eine Verantwortung

Lässt sich HubSpots Modell auf andere Firmen übertragen? Was gilt es aus Ihrer Sicht zu beachten, wenn Unternehmen Schulungen rund um Themen wie Rassismus, aber auch generell Diversity & Inklusion (verpflichtend) anbieten?

Ja und nein. Wir sind in der glücklichen Position, ein stetig wachsendes Team von aktuell mehr als 7.000 Menschen zu haben. Das heißt, wir verfügen über die Teamstruktur und Ressourcen, um solch eine Schulung intern aufbauen zu können. 

Unabhängig davon, ob Unternehmen in der Lage sind, eine umfassende Schulung durchzuführen, halte ich es aber für entscheidend, dass die Unternehmensleitung und Führungskräfte Diskriminierung, Voreingenommenheit und Vorurteile offen ansprechen. Mitarbeitende wollen wissen, wie ihr Unternehmen zu grundlegenden Menschenrechtsfragen steht. Unternehmen haben eine Verantwortung, sich für ihre Mitarbeitenden einzusetzen, unabhängig von Rasse, Geschlechtsidentität und Geschlechtsausdruck, Religionszugehörigkeit, Alter, sozioökonomischem Status oder sexueller Orientierung. Gespräche rund um Diversität, Inklusion und Zugehörigkeit in Gang zu bringen, funktioniert auch mit einfachen Mitteln. Unternehmen können beispielsweise Vorträge und Diskussionsgruppen veranstalten oder externe Expertinnen und Experten zu sich einladen, um diese Themen anzusprechen. Entscheidend ist es, aktiv zu werden. 

Vielen Dank für das Gespräch!


Louisa Proctor / HubSpot

Über Louisa Proctor

Louisa Proctor ist Senior Global Director of Learning & Talent Development bei HubSpot.

Sie leitet dort das globale Learning & Talent Development Team, das Schulungen für das Onboarding neuer Mitarbeitender sowie Weiterbildungsangebote für alle Karrierestufen bei HubSpot entwickelt und bereitstellt. Sie ist seit 2010 Teil des HubSpot-Teams.