Verwaiste Warenkörbe oder der Absprung kurz vorm Check-out – das kennt so ziemlich jeder Online-Shop. Bricht die Kundschaft ihr Kaufvorhaben häufig so kurz vor dem Ziel ab, ist das nicht nur ärgerlich, sondern drückt auf die Umsätze.

Kaufabbrüche zu verhindern, hat sich das Unternehmen Uptain zur Aufgabe gemacht. Eigenen Angaben zufolge ist dessen Software in 1.500 Webshops implementiert und man habe Warenkörbe im Wert von über 300 Millionen Euro zurückgewinnen können. Genutzt wird dafür ein Algorithmus, gespeist aus Analysen anonymisierter Daten, der dann Maßnahmen für Besucher:innen nach diversen Kriterien wie Alter, Geschlecht, Preissensitivität und Tech-Affinität parat hat.

CEO und Gründer Julian Craemer spricht im OHN-Interview über die typischen Gründe für den Abbruch – und womit man diesen verhindern kann. Mit Blick aufs kommende Weihnachtsgeschäft verrät er, worauf Händler:innen in diesem Jahr besonders Wert legen sollten.

OHN: Kaufabbrüche sind etwas, das Händler:innen gern vermeiden möchten. Welche Abbruchrate ist bei Online-Shops denn ein Stück weit normal – und wann wird es zu viel?

Julian Craemer: Leider hat fast jeder Online-Shop mit massiven Kaufabbrüchen zu kämpfen. Im Schnitt zeigen unsere Daten eine Abbruchrate von 71 Prozent. Die Tendenz ist steigend. Was normal ist und was nicht, lässt sich kaum sagen. Es gibt gewaltige Unterschiede je nach Shop, Branche und Preissegment. Beispielsweise haben Erotik-Shops im Schnitt eine Abbruchrate von 96 Prozent. Auf der anderen Seite sieht man Tiernahrungsshops mit einer Rate von nur 55 Prozent.

Wie können Händler:innen die Abbruchrate im Shop messen?

Die meisten Shopsysteme wie Shopify oder WooCommerce bieten integrierte Analyse-Tools, welche auch Warenkorbabbrecher messen. Häufig sind diese Berechnungen aber nicht verlässlich und vor allem nicht vergleichbar – hier werden häufig Äpfel mit Birnen verglichen. Alternativ lässt sich die Abbruchrate mit Tools von externen Dienstleistern tracken.

Hohe Lieferkosten, mangelndes Vertrauen – und andere Erwartungen

Was sind die häufigsten Gründe für Kaufabbrüche in Online-Shops?

Die Gründe für Kaufabbrüche sind vielseitig. Die verbreitetsten Gründe sind zu hohe Lieferkosten, fehlende Zahlungsoptionen, mangelndes Vertrauen in den Shop und zu lange Lieferzeiten. Aber auch die User-Experience sorgt regelmäßig für Kaufabbrüche. Beispielsweise, wenn Kunden zuerst einen Account einrichten müssen oder schlichtweg die Benutzerfreundlichkeit nicht stimmt. Letztlich besteht auch immer die Möglichkeit, dass der Kunde das Produkt bei einem Wettbewerber zu besseren Konditionen findet.

Welche Trends habt ihr dazu im vergangenen Jahr beobachtet? Welche Ursachen gibt es beispielsweise mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage, bei Verbraucher:innen oder aufseiten der Online-Shops?

Generell nehmen Kaufabbrüche zu, was vor allem auf das sich verändernde Marktumfeld zurückzuführen ist. Das Angebot wird größer und der Druck auf die Preise steigt. Nicht zu unterschätzen ist dabei der wachsende Marktanteil von aggressiven Billiganbietern aus China.

Aber auch die Erwartungen haben sich verändert. Heute ist der Kunde es gewohnt, dass die Lieferung gratis ist und in wenigen Tagen erfolgt. Zudem möchten Kunden mit ihrer Lieblingsmethode oder sogar erst später bezahlen, wie zum Beispiel mit Klarna.

Die Kunden erwarten einen höheren Standard in Online-Shops. Wenn ein Shop diesen Standard nicht erfüllt, wird das Produkt woanders gekauft. Viele dieser Erwartungen wurden von großen Playern wie Amazon und Zalando etabliert. Für kleine und mittelgroße Shops ist es teilweise nahezu unmöglich, diesen Erwartungen gerecht zu werden.

Welche Produkte bzw. Produktkategorien sind besonders von Kaufabbrüchen betroffen?

Besonders betroffen sind Produkte wie Verträge und Versicherungen. Hier machen die Kunden häufig einen Rückzieher. Dies ist verständlich, denn es handelt sich meist um hohe Beträge und wichtige Lebensentscheidungen.

Ebenfalls stark betroffen sind Shops im Bereich Reisen, wie etwa Kreuzfahrten, Flüge und Reisezubehör. Hier lässt sich ein digitales „window shopping“ beobachten. Kunden legen Produkte in den Warenkorb, ohne tatsächlich eine Kaufabsicht zu haben.

Die Spitzenreiter in diesem Bereich sind aber eindeutig Erotikprodukte. Hier wird im Schnitt weniger als einer von zehn Käufen abgeschlossen.

Erkennen, welche Hilfestellung ein Kunde braucht

Und welche Methoden helfen, um bereits präventiv gegen Kaufabbrüche vorzugehen?

In der Theorie müssten alle Online-Shops einen kostenlosen Express-Versand, eine Vielzahl von Zahlungsmethoden und einen reibungslosen Kundenservice anbieten. Dadurch könnten sich Online-Shops gut gegen Kaufabbrüche schützen. In der Praxis ist es jedoch besonders für kleine und mittelständische Unternehmen oft schwierig, diese Standards zu erfüllen.

Eine Alternative stellt der Einsatz von Zurückgewinnungsmethoden dar. Hierbei können Kaufabbrecher durch gezielte Maßnahmen wie ein Pop-up im entscheidenden Moment doch noch zum Kauf bewegt werden – beispielsweise, indem man einen Gutschein-Code ausspielt oder eine Beratung anbietet. Bei registrierten Usern oder bekannten Abonnenten bieten sich auch Trigger-Mails an. Hier wird der Kunde nach dem abgebrochenen Kauf per E-Mail zum Abschluss bewegt. Diese Methoden sind sowohl kosteneffektiv als auch einfach umzusetzen. Das Wichtigste ist, dass erkannt wird, welcher Kunde welche Art der Hilfestellung oder Incentivierung benötigt: Gutscheine helfen nur preissensiblen Kunden, bei servicebedürftigen Kunden können diese sogar abschreckend wirken.

Also könnt ihr bestimmte demografische Merkmale oder Verhaltensmuster bei Kund:innen, die zum Kaufabbruch neigen, wahrnehmen? Welche sind das?

Unsere Analysen zeigen zwei dominante Profile: Zum einen gibt es den extrem preissensiblen Käufer. Dieser vergleicht das gewünschte Produkt in verschiedenen Shops. Dafür legt er die Produkte in den Warenkorb und prüft, wo der Gesamtpreis inklusive Versandkosten am günstigsten ist.

Zum anderen gibt es den servicebedürftigen Shopper. Dieser ist meist etwas älter und weniger tech-affin. Bei ihm scheitert der Kauf oftmals an der User-Experience oder an unbeantworteten Fragen. Beispielsweise ist der Zahlungsprozess unklar oder es fehlen wichtige Produktinformationen.

Weihnachtsgeschäft: Dieses Jahr sind mehr Kund:innen unterwegs

Das Weihnachtsgeschäft steht an. Gibt es – etwa mit Blick auf Daten aus den letzten Jahren – Aspekte, die rund um Kaufabbrüche beim Jahresendgeschäft beachtet werden sollten?  

Die Weihnachtssaison inklusive Black Friday ist die umsatzreichste Zeit für Online-Shops. Speziell sind dabei die veränderten Kundenbedürfnisse, da viele Produkte als Geschenk für jemand anderen gekauft werden. Im Hinblick auf die Daten vom letzten Jahr ist die Abbruchrate in dieser Saison nicht weiter auffällig.

Bemerkenswert ist jedoch der deutlich erhöhte Traffic und der gesteigerte Warenkorbwert. Es sind also nicht nur deutlich mehr Kunden in Online-Shops unterwegs, sondern sie geben auch wesentlich mehr Geld aus. Dadurch fallen die abgebrochenen Käufe finanziell besonders ins Gewicht. Wer in der Weihnachtszeit Warenkorbabbrecher effektiv verhindert, kann mit gewaltigen Umsätzen rechnen.

Ein besonderes Problem am Black Friday besteht darin, dass viele Kunden durch hohe Rabatte in den Shop gelockt werden, aber anschließend nicht für weitere Käufe zurückkehren. Um diese aufwendig gewonnenen Kunden zu reaktivieren, bieten sich sogenannte Comeback-Mails an. Dabei werden die Kunden mit einer unaufdringlichen, aber personalisierten Nachricht zum erneuten Kauf ermutigt.

Worauf sollten sich Händler:innen vor allem in diesem Jahr vorbereiten, um eine geringere Abbruchquote zu erhalten? Welche Strategien könnt ihr empfehlen?

Die Shopbesitzer müssen sich leider auf erneut steigende Kundenerwartungen vorbereiten. Zudem wird der Konkurrenzdruck durch chinesische Billiganbietern auch nochmals steigen. Hier lohnt es sich, auf spezielle Nischen zu setzen und lokale Besonderheiten zu berücksichtigen. Dadurch kann man dem Wettbewerb ansatzweise entgehen.

Unausweichlich ist es, die User Experience und das Vertrauen in den Shop zu stärken. Dies ist auch für kleine und mittelgroße Shops erreichbar. Zusätzlich sollte der Einsatz von Zurückgewinnungsmethoden in Betracht gezogen werden, da diese bei geringem Aufwand große Erfolge erzielen können.

Vielen Dank für das Gespräch!


Über Julian Craemer

Julian Craemer, Uptain Julian Craemer ist seit 2016 Gründer und CEO von Uptain, der führenden Software für das Zurückgewinnen von abgebrochenen Warenkörben und zur Customer-Engagement-Optimierung in Online-Shops. Sein Ziel ist es, mithilfe von KI die Daten kleiner und mittelgroßer Online-Shops zu bündeln, um ihnen bessere Chancen im Wettbewerb gegen Giganten wie Amazon, Temu, Shein und Co. zu ermöglichen.

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