Vergangenen Donnerstag lief abends auf RTL eine neue Folge der Serie „Gecheckt“. Um RTL mache ich zwar normalerweise einen Bogen, dennoch lockte der Titel der Folge „Die Tricks der Online-Händler“ mich in die Mediathek und was soll ich sagen …

Bereits die ersten 15 Minuten waren schlimmer, als die letzte Staffel Game of Thrones, doch ich war tapfer und habs durchgezogen … fürs Team, für euch, die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Eben jene Small Businesses, für die RTL in dieser Show so gar keinen Blick hatte.

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Vorab: Ich ging mit wirklich niedrigen Erwartungen an die Sendung. Leider ist es oftmals so, dass in den Massenmedien sehr verallgemeinernd über die E-Commerce-Branche berichtet wird. Mir war also schon klar, dass das, was in der Überschrift groß als „Tricks“ angeteasert wird, wahrscheinlich nichts ist, was der Aufregung oder gar einer abendfüllenden Sendung wert ist. Und tatsächlich. Mit viel Pathos werden hier gängige Prozesse skandalisiert. Da es kaum möglich ist, auf alles einzugehen, habe ich für euch die schlimm-schönsten Stilblüten der Sendung mitgebracht.

Amazon: Wir werden alle manipuliert!

Ziemlich am Anfang heißt es, dass die Kundschaft häufig, ohne es zu merken, zum Klick auf den Warenkorb verführt wird. Das klingt schon sehr nach Gefahr. Und das Schlimmste: „Fast jeder fällt auf diese Tricks herein.“

Aber: Was sind denn nun die krassen Tricks der E-Commerce-Branche? Wer jetzt denkt, dass man sich tiefschürfend mit Dark Patterns oder zweifelhaften Täuschungsmanövern beschäftigt, wird enttäuscht. Man hat sich zwar Menschen mit Expertise in die Sendung geholt, aber wirkliche Einblicke in das, was die Psychologie hinter der Kaufentscheidung betrifft, bekommt man nicht.

Stattdessen arbeitet man sich an dem ab, was logisch erscheint, nämlich an den Dingen, die jeder gute Online-Shop tun würde, um Kaufabschlüsse zu erzielen: Am Beispiel von Amazon zeigt man, dass die Seite kundenfreundlich aufgebaut ist. Das Suchfeld ist groß und mittig platziert, sodass man direkt weiß, wo man seinen Suchbegriff eingeben muss. Viele positive Rezensionen stärken das Vertrauen und Rubriken, wie „Kunden kauften auch …“, können dazu beitragen, dass am Ende ein Produkt mehr als geplant im Warenkorb landen. Ist das bereits eine Manipulation, vor der man ernsthaft warnen muss? 

Na ja. Es ist ja auch irgendwie meine Entscheidung, ob am Ende meines Wocheneinkaufs doch noch der Süßkram von kurz vor der Kasse in meinem Einkaufswagen landet, obwohl er nicht auf der Liste stand. Oder ob ich zum Staubsauger gleich noch ungeplant die Vorratspackung Staubsaugerbeutel mitnehme, weil diese direkt daneben steht und mich so freundlich anlächelt.

Ach, und falls ihr es noch nicht wusstet: Die ersten Suchergebnisse bei Amazon sind meistens gar nicht die besten Produkte, sondern gekaufte Platzierungen. Erkennt man übrigens eindeutig an der Anzeigen-Kennzeichnung. *zwinkerzwonky* Ich sags nur, weil RTL hat es nicht verraten. Stattdessen bekommt man den bahnbrechenden Tipp, immer weiter runter zu scrollen. 

Nebenbei wird noch die Zahl in den Raum geworfen, dass Amazon bis zu hundertmal am Tag die Preise ändert. Offen wird gelassen, ob diese Preisschwankungen ein Produkt betreffen oder mehrere. Offengelassen werden auch die Gründe. Die Zahl passt jedenfalls wunderbar in die Aufgeregtheit der Sendung. Ergänzend wird noch erwähnt, dass Amazon sich nicht in die Karten schauen ließe, wann die Preise am günstigsten seien. Mutmaßlich wollte der Sender damit das Werkzeug der dynamischen Preisanpassung kritisieren. 

Mode von Shein und Co.

Nach Amazon geht es dann weiter mit dem Thema Mode. Nachdem man kurz einen Test mit Zalando gemacht hat und feststellen musste, dass die „Tricks der Online-Händler“ nicht zum Kauf verführen, wenn man nichts braucht, geht es auch schon weiter mit Shein und spätestens hier wird die Story dann so richtig schräg.

Shein würde Designs bekannter Marken kopieren. Da diese nachgemachten Klamotten den Originalen nur ähneln würden, sei das aber nicht illegal. Schnitt. Im nächsten Bild hält die Moderatorin dann einen Schuh der Marke Adidas in die Kamera und daneben eine Fälschung. Zack und plötzlich sind wir bei dem Thema der illegalen Produktpiraterie. 

RTL: Was soll das? Was willst du uns hier sagen? Soll das irgendwie eine Botschaft auf Meta-Ebene sein? Wolltet ihr nicht recherchieren, wie legal die Kopien von Shein wirklich sind und habt euch daher lieber die niedrig hängende Frucht der klaren Produktpiraterie gegriffen? Was danach kommt, hat jedenfalls nichts mehr mit den „Tricks der Online-Händler“ zu tun. 

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Kostenlose Retouren sind – gar nicht kostenlos

Natürlich macht die Sendung auch nicht vor der Vernichtung von Retouren halt. Mit ernster Miene steht die Moderatorin im Hermes-Fullfillment-Betrieb und sieht zu, wie eine Bettwäsche, die nach dreimaliger Verwendung bereits kaputtgegangen ist, bearbeitet wird. Wird die etwa weggeworfen? Das entscheidet der Hersteller, erklärt ein Verantwortlicher. Nun ja. Wie nicht anders zu erwarten war, wird also nicht zwischen Rücksendungen auf Grundlage des Widerrufsrechts und solchen wegen des Gewährleistungsrechts differenziert.

Ganz heiß wird es dann, als erklärt wird, dass kostenlose Retouren *trommelwirbel* gar nicht kostenlos sind. 

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Nor eiforbibbsch, würden wir hier in Sachsen sagen, würde uns die Information tatsächlich überraschen. Hier müssen richtige investigative Journalist:innen am Werk gewesen sein, die dieses wohlbehütete Geschäftsgeheimnis zum Wohle der Allgemeinheit aufgedeckt haben. 

Wer wenig zurücksendet, zahlt für die Viel-Retournierer mit, da – Achtung, wichtige Information – die Kosten für die „kostenlosen Rücksendungen“ mit in den Produktpreis einkalkuliert werden. Schon krass. Am Ende wollen die uns noch erzählen, dass die Betreiber:innen stationärer Läden Miete, Nebenkosten und Lohnkosten mit in den Produktpreis einkalkulieren. Wo kommen wir denn da hin?! Was für ein krasser „Trick der Online-Händler“.

Influencer-Marketing, Fake-Shops und Co.

Bunt geht es weiter. Da wird eine Influencerin dazu interviewt, wie das mit dem Verkaufen über Instagram so läuft. Die will aber anonym bleiben, denn von ihren 150.000 Follower:innen sind einige gekauft. Dass der Algorithmus solche Accounts mit wenig Reichweite abstraft, erfahren wir allerdings nicht.

Außerdem ist nicht jeder Deal, den sie so eingeht, ein ehrlicher Deal. Da nimmt sie Werbeaufträge für Produkte an, die sich als gar nicht mal so toll herausstellen. Beim Werben dafür wird dann gelogen, denn es geht ums Geld. Sicherlich mag das interessant sein. Warum RTL an dieser Stelle aber nicht zumindest auch eine seriöse Influencerin oder einen seriösen Influencer interviewt hat, liegt auf der Hand. Wie soll man sonst das Feindbild der schwindelnden Online-Unternehmen aufrechterhalten? So bleibt bei dem ein oder anderem wahrscheinlich hängen, dass Influencer:innen ihre Follower:innen verarschen.

Kurz gibt es einen Blick in eine chinesische Influencerfabrik. Man sieht, wie auf engstem Raum viele Menschen Werbung für Produkte machen. Inwiefern das jetzt für den deutschen Markt eine Relevanz haben soll – man weiß es nicht. Auch hier geht es nicht um Einordnung, sondern um Empörung.

Natürlich wird noch kurz auf Fake-Shops eingegangen. Ein wichtiges Thema, was aber nichts mit den „Tricks der Online-Händler“ zu tun hat. Immerhin sind die Betreiber:innen von Fake-Shops keine Händler:innen, sondern Betrüger:innen. 

Zum Abschluss gibts noch ‘nen kleinen Test, ob billige Elektroprodukte von chinesischen Plattformen gefährlich sind. Spoiler: Sind sie. 

Und wie kann man den „Tricks der Online-Händler“ nun entgehen?

Zu Beginn der Sendung versprach die Moderatorin: „Keine Sorge, wir nehmen Ihnen nicht den Spaß am Einkaufen. Aber wir sorgen doch zumindest dafür, dass sie denen nicht so leicht in die Falle gehen.“ Was sind denn nun aber die konkreten Tipps? Die Tipps (und das meinen die ganz unironisch) sind:

  • Ein Experte erklärt, was Cookies sind. Wirklich! Einfach nur das. Nicht mal ein Ratschlag dazu, ob man alle ablehnen soll oder nicht.
  • Ein weiterer Experte erklärt, dass einfache Bestellabläufe Trigger sind, die uns zum Kaufen motivieren.
  • Eine Expertin appelliert an unsere Eigenverantwortung. Sehr billige Produkte auf Temu und Co. könnten weder getestet noch nachhaltig sein. 
  • Die „Tricks der Online-Händler“ sind nicht per se schlecht.

Fazit: Viel Aufregung, wenig Substanz

Die Sendung setzt sich lediglich mit großen Konzernen auseinander. Dass Amazon als Marktplatz auch ein wichtiger Vertriebskanal für kleine und mittelständische Unternehmen ist, ist nicht mal eine Randnotiz wert. Es geht einzig und allein um den Konzern. Schade. Man hätte ja auch mal zeigen können, wie bunt und vielfältig die E-Commerce-Landschaft in Deutschland durch euch gemacht wird. 

Man hat hier die Chance verpasst, Verbraucher:innen tiefere Einblicke in den deutschen E-Commerce zu geben. Stattdessen arbeitet man sich an chinesischen Plattformen und Fake-Produkten ab. Dass Temu aktuell eben wegen der ganzen „Tricks“ unter juristischem Dauerbeschuss steht, wird ausgespart. 

Beim Aufbau von Amazon wird so getan, als wäre das was ganz Heißes, aber mal ehrlich: Jeder, der einen kleinen Kiosk betreibt, ordnet die Produkte in seinem Laden so an, dass Kund:innen zum einen leicht finden, was sie brauchen, und zum anderen vielleicht noch ein Produkt mehr mitnehmen. Dafür braucht man kein BWL- oder Marketingstudium. 

Immerhin: RTL hat die Erwartungen, mit denen ich an die Sendung herangegangen ist, voll erfüllt. Es geht RTL hier nicht um Information, sondern um Aufregung. Das haben sie geschafft, ich hab mich wirklich aufgeregt. 

Zum Schluss habe ich hier noch einen echten Tipp zum Thema Shoppen auf Amazon: Wenn man bei einem Produkt sieht, dass es nicht durch Amazon, sondern einen Händler oder eine Händlerin angeboten wird, kann es sich mal richtig lohnen, zu schauen, ob die Person einen eigenen Online-Shop hat. In den eigenen Online-Shops sind die Konditionen oftmals günstiger, als bei Amazon. So schiebt man dem Löwen nicht noch mehr Futter ins Maul und der Online-Shop freut sich.

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