Abmahnungen sind für Online-Händler frustrierend und meist kostenintensiv. Sind dann inhaltlich auch noch zu kurze Fristen oder sehr hohe Gebühren festzustellen, kommt bei vielen Händlern der Verdacht auf, dass es nicht in erster Linie um den fairen Wettbewerb geht, sondern darum, den Konkurrenten mit hohen Kosten zu belasten.

Paragraphen

Definition „Rechtsmissbrauch“

Abmahnungen sind zwar eine legale Maßnahme, um den ordnungsgemäßen Wettbewerb zu sichern, allerdings soll dieses Mittel nicht rechtsmissbräuchlich genutzt werden. Werfen wir zur Begriffsbestimmung des Rechtsmissbrauchs als erstes einen Blick ins Gesetz:

§ 8 UWG (Beseitigung und Unterlassung)

(1) Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch auf Unterlassung besteht bereits dann, wenn eine derartige Zuwiderhandlung gegen § 3 oder § 7 droht. […]

(4) Die Geltendmachung der in Absatz 1 bezeichneten Ansprüche ist unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.

Wenn der gerügte Rechtsverstoß also nur deshalb geltend gemacht wird, um überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen zu verfolgen, ist dies rechtsmissbräuchlich (Bundesgerichtshof mit Urteil vom 05.10.2000, Az.: I ZR 237/98).

Davon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht des wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Antragsteller kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und die Abmahnung allein oder ganz überwiegend nur im Gebühreninteresse oder aus anderen sachfremden Interessen ausspricht (Landgericht Bochum, Urteil vom 21.04.2010, Az.: 13 O 261/09).

Die sachfremden Ziele müssen zwar nicht das alleinige – aber zumindest das überwiegende Ziel sein. Geht es dem Abmahner hauptsächlich um die Unterbindung des wettbewerbswidrigen Verhaltens, genügt es für die Begründung des Rechtsmissbrauchs daher nicht, wenn auch sachfremde Ziele – ohne vorherrschend zu sein – bei der Anspruchsverfolgung eine Rolle spielen.

Indizien für einen Rechtsmissbrauch

Ob in der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ein Rechtsmissbrauch gesehen werden kann, ist stets im Einzelfall zu entscheiden. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit zahlreiche Anhaltspunkte entwickelt, die auf einen Rechtsmissbrauch hindeuten. Diese sollen hier auszugsweise dargestellt werden.

Massenhafte Versendung

Eine massenhafte Versendung von Abmahnungen (insbesondere für Bagatellverstöße) kann für einen Rechtsmissbrauch sprechen. So entschied das Landgericht München, dass mehr als 1.000 Abmahnungen pro Jahr rechtsmissbräuchlich seien (Urteil vom 10.08.2010 (Az. 11 HK O 11365/10). Diese Abmahnintensität weise nach Auffassung der Richter daraufhin, dass das verfolgte Ziel der Abmahnungen weniger die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen als die Erzielung von Abmahngebühren sei.

Eine Vielzahl von Abmahnungen ist jedoch allein noch nicht ausreichend, denn es müssen weitere Umstände hinzutreten, die den Rechtsmissbrauch begründen (Landgericht Bochum, Urteil vom 21.04.2010, Az.: 13 O 261/09).

Umgekehrt ist ebenfalls zu beachten, dass schon bei einer einzelnen oder einer geringen Zahl von Abmahnungen ein Rechtsmissbrauch vorliegen kann, wenn hinreichende Anhaltspunkte für sachfremde Motive vorliegen.

Missverhältnis zwischen Umsatz und Abmahnerträgen

Bei einem kleinen Online-Händler kann ein Rechtsmissbrauch angenommen werden, wenn dieser in hohem Maße geringfügige Wettbewerbsverstöße abmahnt, vor allem, wenn der eigene Umsatz des Abmahners in keinem Verhältnis zur umfangreichen Abmahntätigkeit in relativ kurzer Zeit steht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Abmahntätigkeit nicht deshalb erfolgt, um die Wettbewerber zum Schutz der eigenen Tätigkeit zu wettbewerbsrechtskonformem Verhalten anzuleiten, sondern dass der Abmahner nur eine gewinnbringende Beschäftigung betreiben will. (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 24.03.2009, Az.: 4 U 211/08).

Weitere Indizien

Die Ausübung erheblichen Drucks auf den Abgemahnten z.B. durch in Aussicht stellen höherer Kosten, das Setzen enger Fristen sowie eine außerordentlich hohe Vertragsstrafe können außerdem ein Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch sein (Landgericht Bochum, Urteil vom 21.04.2010, Az.: 13 O 261/09).

Schließlich kann ein Rechtsmissbrauch auch daraus abgeleitet werden, dass der Abmahnende seinen Anspruch nicht weiter gerichtlich verfolgt, denn dies kann dafür sprechen, dass es dem Abmahner nicht um die Wahrung des ordnungsgemäßen Wettbewerbs ging, sondern um sachfremde Ziele (vgl. Landgericht Bochum, Urteil vom 12.01.2012, Az.: I 14 O 189/11).

Folgen einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass unbegründete Abmahnungen nicht automatisch auch rechtsmissbräuchlich sind. Ist die Abmahnung aber tatsächlich rechtsmissbräuchlich, kann der Abgemahnte die Erstattung der eigenen Rechtsverfolgungskosten verlangen. Außerdem besteht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht mehr.

Das Amtsgericht Regensburg (Urteil vom 05.07.2013, Az.: 4 C 3780/12) hat im Juli diesen Jahres entschieden, dass für die Versendung rechtsmissbräuchlicher wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen neben dem Geschäftsführer des Unternehmens persönlich auch die abmahnende Rechtsanwaltskanzlei haften kann.

Beachte: Im Streitfall trägt aber der Abgemahnte die Beweislast, dass es sich tatsächlich um eine rechtsmissbräuchliche Abmahnung handelt. Dies ist für den Abgemahnten in der Praxis jedoch meist nicht möglich.

Praxishinweis: Gesamtwürdigung des Einzelfalles

Wer eine Abmahnung erhält, muss im maßgeblichen Einzelfall unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände sorgfältig prüfen und abwägen, ob sachfremde Motive eine Rollen spielen und letztendlich darin schon ein Rechtsmissbrauch gesehen werden kann. Dies sollte im Zweifel durch einen fachkundigen Rechtsanwalt geschehen.