März 2020: Die Deutsche Post DHL erklärt, ein Paketzentrum in Graben bei Augsburg zu schließen. Obwohl die Paketmengen bundesweit seit Jahren steigen und die Logistik-Dienstleister vor allem im Weihnachtsgeschäft immer wieder an ihre Grenzen stoßen, rentierte sich das Paketzentrum in Graben nicht mehr. Der Grund: Die Logistik-Aktivitäten von Amazon. Denn das Paketzentrum der Post – das sogenannte Amazon Sorting Center – war eigens für die Zusammenarbeit mit dem US-Konzern gebaut worden. Amazons eigenes Logistikzentrum in Graben liegt direkt nebenan und hat lange für reichlich Paketmengen gesorgt. 

Prime-Air-Maschine

Doch in den vergangenen Jahren macht sich Amazon zusehends unabhängig von den Logistik-Dienstleistern. In den USA ist das besonders sichtbar: Eigene Lieferfahrzeuge bringen die Amazon-Sendungen zu den Kunden. Und Ware wird von der hauseigenen Flugzeugflotte von einer Metropole zur nächsten befördert. Die Frachtfluggesellschaft Amazon Air umfasst bislang rund 30 Maschinen. 2015 hatte Amazon Pläne bekanntgegeben, eine eigene Frachtflotte aufbauen zu wollen – damals war dieses Vorhaben weitestgehend belächelt worden, schnell wurden aber Vermutungen geäußert, dass die Zusammenarbeit mit den Logistik-Dienstleistern irgendwann eingestellt werden könne. Mittlerweile hat Amazon aber auch neben seiner Flugzeugflotte eine ganze Reihe an Services rund um die Logistik aufgebaut.

DHL-Chef Appel gab sich noch selbstsicher

Im April 2016 erklärte Frank Appel, Vorstandvorsitzender der Deutschen Post DHL, keine Angst vor Amazon zu haben. „Mit unserem deutschen Paketgeschäft sind wir weltweit ein Maßstab für Zustellqualität“, erklärte Appel damals. „Dieses Feedback erhalten wir übrigens auch von Amazon.“ 

Nun sind rund vier Jahre ins Land gezogen und Amazon hat seine Logistik-Aktivitäten auch in Deutschland immer weiter ausgebaut – und die DHL verkündete, das Paketzentrum in Graben aufgeben zu müssen. „Aufgrund der aktuell rückläufigen Sendungsmengen sehen wir einen wirtschaftlichen Betrieb des Standortes nicht weiter gewährleistet“, erklärt Dieter Nawrath, Pressestelle Süd der Deutschen Post AG. 80 Mitarbeiter seien von der Schließung des DHL-Paketzentrums betroffen. Für sie wolle die Deutsche Post einen Sozialplan erarbeiten und weitere Beschäftigungsmöglichkeiten im Konzern anbieten. 

Die Schließung des Paketzentrums in Graben wurde aber durch die Coronavirus-Pandemie offenbar noch etwas herausgezögert: Wie die Augsburger Allgemeine berichtet, hat die Deutsche Post „eine Kehrtwende“ gemacht und hat das Zentrum doch nicht, wie ursprünglich geplant, zum 1. Mai geschlossen. Denn im Zuge der Coronakrise seien die Paketmengen rasant gestiegen – vor allem Amazon profitierte von dem veränderten Kaufverhalten der Kunden, die sich in sozialer Distanz übten. Nun werden die Kapazitäten des Verteilzentrums also weiterhin benötigt. Ob das aber auch nach der Coronakrise so bleiben wird, steht in den Sternen.

„Wir machen uns nicht von einzelnen Kunden abhängig“

DHL- und GLS-Auflieger vor Amazons Logistikzentrum

Auf Nachfrage von OnlinehändlerNews sieht die Deutsche Post DHL ihre Position in Deutschland durch die verstärkte Aktivität von Amazon insgesamt nicht gefährdet. „Wir profitieren in Deutschland grundsätzlich über alle Kundengruppen hinweg vom nachhaltigen Wachstum des Online-Handels und machen uns nicht von einzelnen Kunden abhängig“, heißt es von dem Bonner Konzern. „Hinzu kommt, dass wir mit dem Kunden Amazon, der in einzelnen Regionen auch eine eigene Logistik aufbaut, seit Jahren eine enge geschäftliche Partnerschaft haben.“ Amazon verlassen sich nach wie vor auf die „einzigartige Infrastruktur“ der DHL. 

Auch bei Hermes, einem weiteren Logistik-Partner, ist man offenbar noch nicht sonderlich beunruhigt. „Zuallererst ist Amazon ein geschätzter Großkunde und Partner, für den wir nach wie vor sehr erfolgreich in Deutschland Sendungen zustellen“, erklärt Dennis Kollmann, Geschäftsführer Sales bei Hermes Germany. Für die Otto-Tochter ist das Engagement von Amazon zudem durchaus interessant: Hermes selbst ist als Logistiker aus einem Handelsunternehmen entstanden. Für die Kunden bringe das nur Vorteile, betont Kollmann: „Der so entstandene Wettbewerb war für den Kunden positiv. Es handelt sich dabei also um einen ganz natürlichen Prozess, der auch Teil der Hermes-DNA ist und darauf ausgerichtet ist, den besten Service für die eigenen Kunden zu bieten.“

Diesen Gedanken hat auch Amazon verfolgt, als der Konzern sich dazu entschlossen hat, eine eigenen Logistik-Flotte aufzubauen und Teile der Logistik selbst zu übernehmen. „Wir arbeiten kontinuierlich an Innovationen, um die Lieferzeiten für unsere Kunden zu verkürzen“, lässt uns eine Sprecherin des Konzerns wissen. „Das Ziel von Amazon Logistics ist, Kunden noch zuverlässiger und schneller zu beliefern.“ Auslöser der Entwicklung sei die steigende Nachfrage nach der Prime-Mitgliedschaft und die damit verbundenen Lieferversprechen. Dafür benötige Amazon mehr Kapazitäten und Flexibilität, um die Bestellungen am nächsten oder sogar noch selben Tag zustellen zu können. Mit Amazon Logistics ergänze der Konzern die Kapazitäten der bestehenden Logistik-Partner um seine eigenen. 

Amazon hat „fast keine eigenen Fahrzeuge“

Das klingt zunächst nach einem partnerschaftlichen Verhältnis, aber Amazon hebt auch Vorteile durch die eigene Logistik-Flotte hervor: „Zum einen kann der Kunde später bestellen, um die Lieferung noch am selben oder nächsten Tag zu erhalten, zum anderen sollen mehr Bestellungen bereits beim ersten Versuch zugestellt werden“, erklärt die Sprecherin. Um das Service-Level auch bei der Zustellung hoch zu halten, arbeite das Unternehmen mit einer lernenden Routenplanung, die sich beispielsweise bei einer erfolgreichen Zustellung an ein Geschäft die Öffnungszeiten merke. Zudem bekommen die Fahrer immer dasselbe Liefergebiet zugeteilt. 

Den Schritt, eigene Fahrzeuge für die Logistik anzuschaffen, hat Amazon in Deutschland aber noch nicht im großen Stil vollzogen: Hierzulande arbeite der Konzern mit „unabhängigen lokalen Unternehmen“ zusammen und besitze „fast keine eigenen Fahrzeuge“, heißt es. Um die Kapazitäten zu erweitern, erkunde Amazon auch neue Wege – vor allem „zusätzliche saisonale Fahrer“ kommen dabei bisher zum Einsatz, die es dem Konzern ermöglichen, „die Kapazität während der geschäftigsten Zeiten des Jahres zu vergrößern“.

Sendungsmengen steigen, doch Fahrer sind rar

Die Kapazitäten sind tatsächlich die Achillesferse der Logistik. Schon seit Jahren sorgt das erhöhte Sendungsaufkommen im Weihnachtsgeschäft dafür, dass die Logistik-Dienstleister an die Belastungsgrenze kommen. Und auch sonst steigen die Paketmengen jährlich – die Deutsche Post DHDL rechnet bis 2025 mit einem durchschnittlichen Paketwachstum von fünf bis sieben Prozent pro Jahr. „Unser eigenes Aufkommen an Paketen wird dem entsprechen oder leicht darüber liegen“, erklärt die DHL. „Daher erweitern und modernisieren wir unsere Infrastruktur kontinuierlich und können schon heute mit unseren 36 Paketzentren in jeder Betriebsstunde rund 1,2 Millionen Sendungen bearbeiten.“

Amazon-Lieferfahrzeug

Auch bei Hermes, der DPD und der GLS zählt  das hohe Sendungsvolumen – gepaart mit einem schwierigen Fahrermarkt – zu den größten Herausforderungen der Branche. „Der Markt ist sehr angepasst, es gibt allgemein zu wenige Fahrer, um die immer stärker steigenden Paketmengen zu bewältigen“, betont beispielsweise GLS. Aus Sicht des Dienstleisters verschärft Amazons Engagement in Sachen Logistik dieses Problem: „Das Unternehmen ist mit seiner Logistik-Flotte mittlerweile zu einem Wettbewerber geworden, der mit uns auf dem bereits knappen Fahrermarkt konkurriert.“

Konkret bemerke GLS das in Regionen, in denen Amazon seine Logistik-Dienste bereits gestartet hat. Dort habe es dem Logistik-Dienstleister zufolge tatsächlich Wechsel von Fahrern zu dem Unternehmen gegeben. „Wir merken aber auch, dass die Fahrer nach einiger Zeit wieder zu uns zurückkommen“, räumt der Logistiker ein. Abgesehen davon, scheint GLS nicht von Amazons Aktivitäten im Logistik-Markt betroffen zu sein. „Wir beobachten die Aktivitäten von Amazon, konzentrieren uns aber weiterhin auf unser eigenes Geschäft“, erklärt das Unternehmen. 

Amazon hat 100.000 Elektro-Fahrzeuge bestellt

Und was bringt die Zukunft für Amazons aufstrebende Logistik-Sparte? Amazon selbst will sich nicht über konkrete Pläne für den Ausbau der eigenen Zustell-Logistik äußern. Das Unternehmen weist aber darauf hin, dass es vor Kurzem 100.000 Elektro-Lieferfahrzeuge bestellt habe. Diese werden bis 2030 weltweit unterwegs sein, erklärt der Konzern. „Auch in Deutschland arbeiten wir mit lokalen Partnern zusammen, um die Zahl der Elektro-Fahrzeuge zu erhöhen, die Bestellungen für Kunden ausliefern“, führt die Amazon-Sprecherin aus. In München-Daglfing hat das Unternehmen nach eigenen Angaben bereits 50 Elektro-Lieferfahrzeuge auf die Straße gebracht und 60 Ladestationen installiert. Auch hier ist Amazon auf der Höhe der Zeit und rennt den Logistik-Dienstleistern keineswegs hinterher.

Bisher scheint Amazon für die Logistiker in Deutschland aber eben auch noch keine große Bedrohung zu sein. Wie sich das in Zukunft entwickeln wird – bisher ist das kaum absehbar. Klar ist, dass der US-Konzern seine Logistik-Ambitionen weiter verfolgen wird, um die Zustellung der Sendungen an die Kunden zu optimieren und flexibler agieren zu können. Welche Ausmaße das annehmen kann, zeigte sich bereits 2019 in den USA: In dem Jahr verschickte Amazon bereits jedes zweite Paket selbst und war damit nicht mehr auf die klassischen Logistik-Partner angewiesen. Die Verhältnisse zwischen dem Online-Konzern und den Logistikern verschieben sich damit in jedem Fall.

In einer früheren Version des Artikels hieß es, das Paketverteilszentrum der Deutschen Post in Graben wurde zum 1. Mai geschlossen. Die Deutsche Post hat sich aufgrund der steigenden Versandmengen im Zuge der Coronakrise kurzfristig gegen die Schließung entschieden. Der Artikel wurde entsprechend angepasst.