In Großbritannien wurden erste Urteile gegen ehemalige Angestellte der Post aufgehoben – sie wurden zu Unrecht beschuldigt. 

Von 2000 bis 2014 stellte die Britische Post immer mal wieder Differenzen in der Abrechnung fest: Das Buchhaltungssystem wies andere Geldbeträge als in der Kasse der jeweiligen Postagentur aus. Verantwortlich für Differenzen und Fehlbeträge war – anders als die Post behauptet hatte – die verwendete Abrechnungssoftware, die in den über 10.000 Postzweigstellen eingesetzt wurde, wie Golem zufolge aktuell ein britisches Berufungsgericht entschied. 

Justizirrtum – noch Hunderte Freisprüche könnten folgen

So zog eben dieser Softwarefehler einen der größten Jusitzirrtürmer in der britischen Rechtsgeschichte nach sich, wie der Guardian zum Vorfall schreibt. Denn die Schuld für die Kassendifferenzen hatte die britische Post Office Ltd. nicht in der Anwendung gesucht, sondern bei den eigenen Beschäftigten. Diese konnten sich die Unstimmigkeiten in der Regel nicht erklären, dennoch stellte das Unternehmen die Software als zuverlässig dar und sah die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Beweispflicht, ihre Unschuld darzulegen. In der Folge mussten viele diese Fehlbeträge privat ausgleichen oder sie wurden wegen Diebstahls, Betrugs und falscher Buchführung verklagt und teilweise zu Gefängnisstrafen verurteilt. 

Die Justice For Subpostmasters Alliance (JFSA), ein Bündnis von Aktivisten, das sich im Zuge der Beschuldigungen und Verurteilungen gegen die ehemaligen Angestellten formiert hatte, geht von über 900 Betroffenen aus. In einer Zivilklage mit 555 Klägern hatte die JFSA im Dezember 2019 den Konflikt beigelegt, eine Entschädigungszahlung von insgesamt umgerechnet 66 Millionen Euro wurde vereinbart. Zahlen sollte dies im Übrigen die Regierung, das Unternehmen sei nicht in der Lage gewesen. Jedoch hatte die Post im Zuge der Streitbeilegung kein Schuldeingeständnis getätigt – niemand sei für den Skandal zur Rechenschaft gezogen worden, so die Organisation.

Infolge der Zivilklage beschäftigte sich nun das Berufungsgericht mit 42 Fällen, die von einer Untersuchungskommission eingereicht wurden – und hob schließlich bei 39 ehemaligen Angestellten die Urteile auf. Rund 700 Betroffene könnten laut JFSA nun noch freigesprochen werden. 

Problem lange bekannt – auch Software-Anbieter behinderte die Aufklärung

Technische Probleme im Abrechnungssystem seien jahrelang bekannt gewesen, schreibt Golem weiter: Die Buchhaltungssoftware Horizon, ursprünglich vom Tech-Unternehmen Computer ICL entwickelt und später von Fujitsu übernommen, wurde im Jahr 2000 in der britischen Post eingeführt. Erste Gerüchte über Fehler gab es 2009, im Jahr 2013 wurden dann konkrete Fehler publik: Durch die Software sollen in 2011 und 2012 bei 76 Subfilialbetreibern jeweils ein Minus von bis zu 9.000 Britische Pfund in der Kasse gewesen sein. Dennoch soll die Post im Rahmen der damaligen Gerichtsverfahren an der Zuverlässigkeit von Horizon keine Zweifel gezeigt haben. 

Für die mangelhafte Aufklärung zeichneten die Richter aber auch Fujitsu verantwortlich: Das Unternehmen hätte über sämtliche Tastatureingaben verfügt, die über Horizon getätigt wurden – sogenannte ARQ-Daten. Diese seien jedoch den Betroffenen nicht zur Prüfung bereitgestellt worden.

Auch Premierminister Boris Johnson äußerte sich laut Guardian zum Urteilsspruch: „Ich kenne die Verzweiflung, die viele Postangestellte und ihre Familien durch den Horizon-Skandal seit langem erleiden, und ich bin froh, dass wir das richtige Urteil bekommen haben.“