Ein Amazon-Paketfahrer aus den USA offenbart, wie er schummeln muss, um seine Ziele zu schaffen und wie der Konzern ihn gängelt.

 

Wer als Kunde bei Amazon kauft, erwartet eine schnelle Lieferung – und das ist auch Amazons Versprechen. Einlösen müssen es die Mitarbeiter in den Logistikzentren und die Lieferanten. Ein Amazon-Fahrer aus den USA berichtet anonym bei Business Insider, zu welchen Tricks er greifen muss, um seine Vorgaben zu schaffen und welche Probleme es mit dem Unternehmen noch gibt

So funktioniert Amazons Überwachungs-App Mentor

Der Fahrer arbeitet seit 2019 in Teilzeit für ein Amazon-Lieferunternehmen und bringt im ländlichen Michigan die Pakete. Amazon überwache über die obligatorische App Mentor dabei alles Mögliche bei den Fahrern – vom Anlegen der Sicherheitsgurte über den Fahrstil bis zum Berühren der Bildschirme während der Fahrt. Die App errechne aus all diesen Daten am Ende jeder Schicht eine Punktzahl über die Arbeitsleistung: 850 ist der Spitzenwert, Amazon erwarte von den Fahrern jeweils mindestens 750.

„Im Namen der Sicherheit behält Amazon uns im Auge, indem es alles verfolgt, aber was es wirklich tut, ist, noch mehr Druck zu erzeugen“, klagt der Lieferant. „Es gibt eine Menge Druck auf die Lieferpartner, gute Leistungen zu erbringen, sonst riskieren sie, dass ihr Vertrag gekündigt wird, und dieser Druck sickert zu uns Fahrern durch.“

Amazon-Fahrer tauschen Handys

Sein Vorgesetzter habe daher einen Trick entwickelt, um die Vorgaben einzuhalten. Hat einer der Fahrer schlechte Werte in der App, meldet dieser sich mit seinem Namen an, übergibt das Telefon dann aber an einen Fahrer mit einer hohen Punktzahl – dieser „korrigiert“ dann auf seiner Tour quasi die vermeintlich schlechte Leistung. „Amazon rühmt sich damit, die Sicherheit der Fahrer unter Kontrolle zu haben, stellt dann aber Forderungen auf, die uns zwingen, das System zu umgehen“, erklärt der Lieferant.

Das Problem an der Bewertung: Für viele Szenarien, die die Mentor-App-Punktzahl negativ beeinflussen, könne der Fahrer gar nichts. „Wenn zum Beispiel ein Kind auf die Straße rennt, um seinen Fußball zu jagen, und Sie gezwungen sind, unerwartet auf die Bremse zu treten, geht das zu Lasten Ihrer Punktzahl. Wenn Ihnen ein Reh vor den Wagen läuft und Sie ausweichen müssen, um einen Unfall zu vermeiden, wird dies ebenfalls mit Ihrem Punktestand verrechnet“, klagt der Paketbote. 

Er bestätigt auch die vor Kurzem vorgebrachte Kritik gegen Amazon, dass Fahrer aus Zeitdruck in Flaschen pinkeln müssen: „Ich bin nicht stolz darauf, es zuzugeben, aber ich habe in eine Flasche gepinkelt, um auf meiner Route Zeit zu sparen. Wenn ich auf Landstraßen arbeite, kann es manchmal bis zu 20 Minuten dauern, bis ich ein Fast-Food-Restaurant oder eine Tankstelle finde, und so viel Zeit habe ich einfach nicht.“

Das sagt Amazon zu der Kritik des Fahrers

Amazon hat sich zu der Kritik des Fahrers geäußert und verweist auf „realistische Erwartungen“ an die Lieferanten. „Wir verwenden eine ausgeklügelte Technologie, die Routen so plant, dass sie innerhalb einer bestimmten Zeit abgeschlossen werden können, wobei zahlreiche Faktoren wie Paketvolumen, Komplexität der Adressen und angemessene Pausenzeiten berücksichtigt werden. Tatsächlich schaffen mehr als 75 Prozent der Fahrer ihre Routen um 30 Minuten oder mehr unter der geplanten Zeit.“