Amazon gilt bei vielen Kunden als das Mekka des Online-Handels. Doch bei den Zulieferern scheint sich derzeit Frust breit zu machen. Einige berichten von vermeintlich unbeglichenen Rechnungen, Zahlungskürzungen und verschwundener Ware.

Hat Amazon ein Problem mit seinen Zulieferern? Einem Bericht von CRN zufolge soll es immer wieder zu größeren Schwierigkeiten kommen. Einige Distributoren berichten von offenen Forderungen und offenbar willkürlich gekürzten Rechnungen. „Amazon spielt seine Marktmacht gegenüber Lieferanten gnadenlos aus“, zitiert das Magazin einen Zulieferer, der seit rund einem Jahr auf offenen Forderungen in siebenstelliger Höhe sitzen soll. Amazon bezahle mal einen Teilbetrag, oft würden Rechnungen aber „ohne Angabe von Gründen“ nicht bezahlt, so der Distributor weiter.

CRN habe mit einigen Grossisten gesprochen, die nur unter der Zusage, keine Details über ihre Identität zu nennen, zu Gesprächen bereit waren. Die Furcht vor dem Zorn Amazons scheint bei den Grossisten also entsprechend groß – ebenso wie der Frust, wie CRN beschreibt: „Es fallen harte Vorwürfe: Es ist von ‚Methode‘ die Rede, von ‚Inventur-Gewinnen‘, gar von ‚organisiertem Betrug‘.“

Amazon spricht von „Missverständnissen“

Dass Amazon Rechnungen in vielen Fällen nicht bezahlen soll, hätten die Zulieferer übereinstimmend berichtet. Amazon gebe demnach vor, die Ware nie oder nicht vollständig erhalten zu haben. Nachweise über die Zustellung soll der US-Konzern nicht akzeptieren, so ein betroffener Grossist. Selbst wenn die Ware per Sicherheitstransport zugestellt wurde, seien die Belege offenbar nicht ausreichend. In einem besonderen Fall habe ein Zulieferer Amazon mitgeteilt, dass er die verschwundene Warensendung – mehrere Hundert Smartphones – zur Anzeige bringen wolle. Die Geräte ließen sich über die IMEI eindeutig identifizieren, wenn sie in Betrieb genommen würden. „Amazon hat es uns untersagt, den Fall bei der Polizei zu melden“, so der Distributor laut CRN.

Schwere Vorwürfe gegen Amazon also. Der Konzern selbst habe CRN gegenüber aber nur von „Missverständnissen“ gesprochen. Um die Anlieferungen schneller zu bearbeiten, prüfe und bestätige das Unternehmen zunächst lediglich die Anzahl der angelieferten Paletten. Erst in weiteren Schritten führe man eine Qualitätskontrolle auf Vollständigkeit, Richtigkeit und Unversehrtheit der Ware durch. Ein Grossist vermute ein Problem in der chaotischen Lagerhaltung, die Amazon einsetze – dabei werden die Produkte so in die Regale einsortiert, dass die Picker möglichst wenig Strecke zurücklegen müssen. Eine Lieferung T-Shirts wird beispielsweise nicht an einer Stelle im Lager einsortiert, sondern verteilt.

Nur wenige wollen Amazon den Rücken kehren

Auch die Sanktionen, die Amazon aussprechen soll, verärgern die Zulieferer: Wer gegen Anlieferuns- oder Verpackungsbestimmungen verstößt, soll Strafzahlungen leisten. Wann das aber der Fall ist, bestimme der US-Konzern selbst. Ein Distributor spricht von einem Verhalten, das „völlig intransparent und willkürlich“ sei. „Alle vier Wochen erhalten wir eine Liste mit Strafzahlungen. Etwa weil das Zeitfenster bei der Anlieferung nicht eingehalten wurde, Teile der Ware beschädigt sein sollen, nicht richtig gelabelt oder ins falsche Lager geliefert worden seien“, berichtet der Distributor weiter. Bereits 2013 seien erste Vorwürfe in der Verkehrs-Zeitung aufgekommen, dass die Anlieferung bei Amazon chaotisch verlaufe und das Unternehmen die Strafzahlungen als „eigene Form der Einnahmequelle“ nutze.

Trotzdem scheinen nur die wenigsten Zulieferer entschieden gegen Amazon vorgehen zu wollen. Für die meisten ist der Marktplatz ein zu lukrativer Absatzkanal, trotz aller Probleme und Strafzahlungen. Zuletzt hatte trotzdem Birkenstock erklärt, die Zusammenarbeit mit Amazon einzustellen (wir berichteten) – aber nicht wegen Probleme bei der Warenlieferung, sondern wegen Amazons Umgang mit Markenrechtsverletzungen.