Amazon sieht sich aktuellen Vorwürfen entgegen, sich nicht genügend um verletzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kümmern.

 

Das Thema Arbeitssicherheit bei Amazon brandet in regelmäßigen Abständen auf: So stand der Konzern in der Vergangenheit etwa aufgrund hoher Unfallzahlen oder dem vermeintlich unwürdigen Umgang mit Todesfällen in seinen Lagerhäusern in der Kritik

Ein neuer Bericht des Portals Wired wirft Amazon überdies vor, sich in einigen Fällen nicht ausreichend um verletzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in US-amerikanischen Logistikzentren zu kümmern und sie nicht an das notwendige ärztliche Fachpersonal zu überweisen. Sie sollen stattdessen systematisch zur Weiterarbeit gedrängt werden, wodurch das Risiko für dauerhafte Gesundheitsprobleme steige. 

Auf diese Weise versuche der Konzern, die meldepflichtigen Verletzungen zu minimieren, so die Vorwürfe. Auch die US-Arbeitsschutzbehörde OSHA (Occupational Safety and Health Administration) sei bereits auf die angeprangerten Missstände aufmerksam geworden und habe eine Untersuchung eingeleitet.

Erste-Hilfe-Personal ohne Qualifikation für Diagnose und Behandlung 

Verletzen sich Mitarbeitende von Amazon, haben sie in den USA die Möglichkeit, sich in den Lagern an Erste-Hilfe-Stationen zu wenden, die auch als „AmCare“ oder „Wellness Center“ bekannt sind. Bei dem dort eingesetzten Personal handele es sich in der Regel um Rettungssanitäter:innen, die allerdings keine Qualifikation haben, Diagnosen zu stellen oder Behandlungen bei Verletzten durchzuführen. 

Sie handeln lediglich nach vorgegebenen Protokollen, die unter Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten entstanden sind. Die Mitarbeitenden an den Stationen geben etwa rezeptfreie Schmerzmittel aus oder verweisen die Betroffenen im Fall der Fälle an Ärzte und Spezialisten. Auch, so heißt es weiter, würden sie verletzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter manchmal tage- oder sogar wochenlang betreuen, obwohl sie lediglich im Bereich der Ersten Hilfe agieren.

Es soll der Anschein medizinischer Versorgung geweckt worden sein

Wired habe im Rahmen des Berichts sowohl mit einigen Erste-Hilfe-Kräften bei Amazon als auch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diversen Logistikzentren gesprochen. Sowohl Aussagen der OSHA als auch Berichte von klinischen Angestellten deuten demnach darauf hin, dass das Erste-Hilfe-Personal ermutigt werde, Verletzte direkt im Haus zu betreuen und nicht an Ärzte zu verweisen.

„Alles, was wir taten, war irgendwie pseudomedizinisch, genug, um den Anschein zu erwecken, medizinisch zu sein“, wird ein eingesetzter Rettungssanitäter aus Nevada zitiert. „Wenn wir als Rettungssanitäter in Krankenwagen sind, geht es vor allem darum, die Menschen zur finalen Versorgung zu bringen. Dann komme ich zu Amazon und es heißt: ,Nein, wir bringen sie nicht zum Arzt.‘ Also, wofür braucht ihr mich? Ich bin die Person, die Menschen zum Arzt bringt.“

Auch konkrete Zahlen gebe es: So habe die Arbeitsschutzbehörde OSHA festgestellt, dass mindestens sechs Mitarbeiter:innen mit schweren Verletzungen in einem Lagerhaus im Bundesstaat New York über einen Zeitraum von sechs Monaten zurück an ihren Arbeitsplatz geschickt wurden. In einem Fall sei etwa ein Mitarbeiter von einer Kiste am Kopf getroffen worden. Obwohl er Anzeichen eines Schädelbruchs aufwies, ihm Blut aus dem Ohr gelaufen sei und er später unter Kopfschmerzen litt, sei er ohne ärztliche Betreuung zurück an die Arbeit geschickt worden.

Erste-Hilfe-Personal spricht von Druck durch Führungskräfte

Dass auch das Erste-Hilfe-Personal mit den vorgegebenen Prozessen nicht immer zufrieden sei, darauf lassen Erfahrungsberichte schließen: Acht eingesetzte Kräfte, die von Wired befragt wurden, hätten demnach berichtet, „dass sie direktem Druck von Managern ausgesetzt waren, die Zahl der Arbeiter, die sie zu Ärzten schickten, niedrig zu halten, obwohl das Amazon-Protokoll sie verpflichtete, verletzten Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten, an externe medizinische Versorgung überwiesen zu werden“.

Ein anderer Angestellter von AmCare berichtete außerdem, dass er bei Führungskräften um Erlaubnis bitten musste, verletzte Kolleg:innen zu einem Arzt zu schicken. In manchen Fällen sei versucht worden, die Verletzten davon abzubringen, einen Arzt aufzusuchen. In anderen Fällen hätten Manager das AmCare-Personal ermutigt, „den Mitarbeitern mitzuteilen, dass es nichts gebe, was ein Arzt anbieten würde, was AmCare nicht bieten könne“, berichtet Wired weiter.

Amazon weist Vorwürfe zurück

Amazon selbst habe über eine Sprecherin Vorwürfe zurückgewiesen, Verletzungen verheimlichen zu wollen und Verletzte nur ungenügend zu versorgen. An anderer Stelle verwies ein Firmensprecher darauf, dass die Verhaltensweisen der Manager, die die Erste-Hilfe-Kräfte beschrieben hatten, gegen die Richtlinien des Konzerns verstoßen und man die Zahlen der Überweisungen an Ärzte ausschließlich verfolge, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hervorragende Erste Hilfe leisten zu können.

Bereits in 18 Logistikzentren von Amazon führe die OSHA zurzeit Ermittlungen durch. Neben medizinischer Misswirtschaft und ergonomischer Gefahren stünden dabei auch die beschriebenen Prozesse in der Kritik, dass verletzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst in schweren Fällen nicht ordnungsgemäß medizinisch versorgt worden seien.

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