Zuerst hatte ein Gericht Amazon die Sonntagsarbeit in der weihnachtlichen Zeit erlaubt. Dann urteilte ein anderes Gericht, dass die sonntägliche Arbeit nicht rechtmäßig war. Der Streit an deutschen Gerichten dauert weiter an. Unsere Juristin Sandra May ist sich hingegen einig: Kontra Sonntagsarbeit!

Was ursprünglich den sonntäglichen Kirchgang gewährleisten sollte, ist längst über religiöse Grenzen hinaus in unserer Gesellschaft verwurzelt: das Verbot der Sonntagsarbeit. Damit soll gewährleistet werden, dass Arbeitnehmer zumindest diesen einen Tag in der Woche frei haben – und das auch noch gemeinsam mit dem Rest der Familie. Das Verbot ist uns so wichtig, dass es über Art. 140 des Grundgesetzes mit Umweg über Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung sogar verfassungsrechtlich verankert ist. 

Ausnahmen dürfen nicht zur Regel werden

Es gibt daher eine Reihe guter Gründe, die dafür sprechen, Sonntagsarbeit nur in Ausnahmefällen zu gewährleisten. Das gilt beispielsweise für Gastronomiebetriebe, aber auch für zwingend notwendige Dienste, wie die Polizei und die Feuerwehr. „Normale“ Betriebe hingegen dürfen die Sonntagsarbeit nur mittels einer Ausnahmegenehmigung anordnen: Dies ist dann möglich, wenn ohne die zusätzliche Arbeit am Sonntag ein unverhältnismäßiger Schaden für das Unternehmen entsteht.

Hätte Amazon die Lagerarbeiter nicht am Sonntag antreten lassen, dann wäre so ein Schaden sehr wahrscheinlich entstanden; allerdings muss hier genau darauf geachtet werden, wieso die Arbeit nötig war. Die Ausnahme soll Unternehmen davor schützen, aufgrund von höherer Gewalt im Zusammenspiel mit dem Verbot der Sonntagsarbeit Schaden zu nehmen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn es zu einer Havarie kommt oder ein ungewöhnlich hoher Krankenstand besteht.

Redakteurin Sandra May

Von höherer Gewalt kann aber dann nicht mehr die Rede sein, wenn das Unternehmen die Zwangslage selbst herbeigeführt hat. Genau das war bei Amazon aber der Fall: Zu Marketing-Zwecken wurde den Kunden die fristgerechte Lieferung zu Weihnachten versprochen. Das gleichzeitige Einführen der Express- und Same-Day-Lieferung im Jahr 2015 war schlicht unvernünftig. Diese Versprechen abzugeben, obwohl es offenbar nicht genug Kapazitäten gab, war aus unternehmerischer Sicht nicht klug. Dann auch noch eine Sondergenehmigung für die Sonntagsarbeit mit der Begründung zu beantragen, dass ohne diese zusätzliche Arbeit ein unverhältnismäßig hoher Schaden für das Unternehmen entsteht, ist schon fast als dreist zu bezeichnen. 

Es wäre nur richtig, diese Sondergenehmigung für unwirksam zu erklären. Eine gegenteilige Entscheidung könnte sonst eine falsche Vorbildwirkung auf andere Unternehmen haben. Künftig könnte sonst jedes Unternehmen mit nicht haltbaren Versprechen an die Kundschaft bewusst eine Zwickmühle herbeiführen, um diese dann durch Sonntagsarbeit ausgleichen zu lassen. Das kann schlicht und ergreifend nicht gewollt sein. Schließlich soll die Sonntagsarbeit eine Ausnahme sein.