Amazon ist ein wirklich außergewöhnliches Unternehmen, das eine tiefe Zerrissenheit in den Menschen auszulösen scheint.

Amazon spaltet. – Diese Erkenntnis trifft mich immer mal wieder. Aber im Verlauf der vergangenen Wochen erschien mir diese Erkenntnis aktueller denn je. Einige Beispiele: Amazon spaltet die Gemüter: Schließlich gibt es einerseits jene Menschen, die gegen die wachsende Macht des Konzerns und die vermeintliche Ausbeutung der Arbeiter demonstrieren. Und es gibt andererseits Menschen, die genießen die Fürsorge, die ihnen Amazon als Anbieter entgegenbringt – gigantische Auswahl, schnelle Lieferung, grandioser Service, ergänzt durch Cloud-, Film- und Musikdienste.

Diese Gemüter-Spaltung geht nicht selten auch mit einer gespaltenen Moral einher. Wahlweise auch mit einem gespaltenem Gewissen: Denn selbst jene, die das „System Amazon“ mit Missbilligung betrachten, greifen nicht selten im Privatleben auch auf die Services des Konzern zurück.

Amazon spaltet aber nicht nur die Gemüter, sondern auch die Kunden: In Gelegenheitskunden, die keine Prime-Mitglieder sind und demzufolge meist geringere Warenkörbe vorweisen. Und in wertvolle Prime-Kunden, die einen Mitgliedsbeitrag zahlen und in der Regel häufiger und auch viel mehr einkaufen.

Ein jüngstes Beispiel ist die Spaltung einer ganzen Weltstadt: Amazon hatte bereits vor Monaten angekündigt, in New York ein weiteres Hauptquartier bauen zu wollen: Dieses Vorhaben hat sowohl Befürworter als auch Gegner auf den Plan gerufen. Denn auf der einen Seite werden dadurch viele Tausende neue Arbeitsplätze in der Region geschaffen. Kritiker verweisen auf der anderen Seite jedoch auch auf die Veränderungen für die Stadt selbst: Steigende Mieten bis hin zur Wohnungsnot oder eine weitere Belastung für den Verkehr könnten sowohl den Anwohnern als auch kleinen Unternehmen schaden. Nachdem Amazon jüngst bekannt gegeben hat, doch nicht nach New York zu gehen, waren die Proteste gegen diesen Schritt bei den Amazon-Befürwortern gleichermaßen hoch.

Selbst Anforderungen, die Amazon auf dem Marktplatz als verpflichtend statuiert, spaltet das Unternehmen auf: Es gibt nämlich Richtlinien, die für alle gelten und Richtlinien, die nur für Händler, nicht aber für Amazon verpflichtend sind: Händlern ist es nämlich nicht erlaubt, Kunden Gegenleistungen für Kundenbewertungen zu bieten – und zwar weder eine Bezahlung noch Produkte oder sonstige Leistungen. Amazon selbst hingegen betreibt das sogenannte „Vine“-Programm, den „Club der Produkttester“. Hier stellt Amazon den Vine-Mitgliedern kostenlose Produkte zur Verfügung, die sie dann bewerten sollen. Wenn sich Amazon allerdings von Richtlinien selbst ausnimmt, dürfte dies das Vertrauen in den Online-Riesen (von Händlerseite) zerrütten.

Zu guter Letzt scheint Amazon auch die Wirtschaft ein Stück weit gespalten zu haben – in jene Unternehmen, die alles für die eigene Digitalisierung tun und versuchen, sich von Amazon nicht abdrängen zu lassen. Und jene, die mit dem rasanten Fortschritt des Online-Riesen kaum mithalten können. Allein diese Spaltung hat die Verhältnisse im digitalen Handel in den vergangene Jahren maßgeblich beeinflusst. Wenn das Sprichwort sagt, dass eine Medaille immer zwei Seiten hat, dann trifft dies definitiv auch auf Amazon zu.