Mit Amazon Go will Jeff Bezos sich auch im stationären Handel Achtung verschaffen – derzeit ist der Erfolg aber noch fraglich. Oder sollte man das ganze Projekt eher als Langzeit-Experiment sehen?

Trotz aller Rekordzahlen zum Prime Day und des wachsenden Online-Handels im Ganzen – rund 90 Prozent der Einzelhandelsumsätze kommen aber immer noch aus dem stationären Geschäft. Das war 2012 für Jeff Bezos der Grund, mit Amazon Go ein revolutionäres Konzept zu entwickeln – und die stationären Nachteile wie etwa Warteschlangen auszuschalten. Doch sieben Jahre später ist Amazon Go trotz Riesen-Investitionen (noch) kein Kassenschlager, wie Bloomberg analysiert. Der ausführliche Bericht offenbart außerdem spannende Details aus der Entstehung von Amazon Go.

Amazon hat mehrere hundert Millionen Dollar in Go investiert

14 Läden stehen bereits in Chicago, New York, San Francisco und in Seattle, wo auch Amazon beheimatet ist. Doch viele der kassenlosen Hightech Stores sollen fast verlassen sein, wenn nicht gerade Mittagszeit ist. Besonders die Amazon-Go-Läden in Chicago sollen Amazon enttäuschen, heißt es. Das Unternehmen musste mit Verlosungen und Werbegeschenken Kunden locken. Amazon hat insgesamt mehrere hundert Millionen US-Dollar in das wegweisende Projekt gesteckt, allein die Pilotfilialen kosten bis zu drei Millionen Dollar. Bis Amazon Go das wieder einspielt, dürfte es noch geraume Zeit dauern.

Trotzdem könnte Amazon Go langfristig ein Erfolg werden, meint Neil Stern von dem Beratungsunternehmen McMillanDoolittle. „Wie so viele Dinge, die Amazon macht, bin ich sicher, dass es Amazon Go nicht als Convenience Store betrachtet, sondern als Datenexperiment“. Die Geschäfte selbst seien nicht die große Idee. Denn nicht nur, dass weitere Filialen von Amazon Go öffnen werden – die nötigen Technologien könnten auch in anderen Bereichen zum Einsatz kommen. „Wenn es für andere Dinge Sinn macht, werden wir es dort tun“, sagt Dilip Kumar, der für Go zuständig ist. Die Läden arbeiten unter anderem mit Computer Vision: Kameras und Sensoren sollen erkennen, welche Produkte aus den Regalen genommen werden. 

Go-Entwickler mussten bis zu 80 Stunden die Woche arbeiten

Der Bericht offenbart auch jede Menge Details aus der Historie von Amazon Go: Das Projekt war so geheim, dass viele beteiligte Ingenieure anfangs gar nicht wussten, woran sie arbeiten würden. Es soll Arbeitszeiten von 70 bis 80 Stunden pro Woche gegeben haben. „Wir haben alle in einer Höhle gelebt“, wird ein Mitarbeiter zitiert. 

Als das neue Prinzip, nicht an einer Kasse zahlen zu müssen, getestet wurde, waren die Kunden noch überfordert, berichtet ein Verantwortlicher rückblickend. „Wir hatten festgestellt, dass viele Kunden am Ausgang zögerten und den Mitarbeiter am Eingang fragten, ob sie wirklich gehen können. In Tests haben wir dann ein großes Poster aufgehängt, auf dem stand: 'Nein, wirklich, du kannst einfach rausgehen! '“ Noch heute soll ein Schild in einem der ersten Amazon-Go-Läden daran erinnern. Um die Kameras und Sensoren auf die Probe zu stellen, mussten Testkäufer unter anderem mit Regenschirmen oder alle mit identischen Football-Trikots in dem Laden für Verwirrung sorgen.

Vielleicht können schon bald auch Europäer Amazon Go auf Herz und Nieren prüfen: In London soll bald der erste Laden außerhalb der USA eröffnen.